Liebe Gemeinde,
meine Predigt beginne ich heute mit einem Dank an Sie alle. Ganz herzlichen Dank dafür, dass Sie Ihre Kirchengemeinde und die Kirche mit ihren Einrichtungen finanziell unterstützen! Diese Unterstützung hat ja verschiedene Formen. Viele sehen den Posten „Kirchensteuer“ auf ihrem Gehaltszettel oder Rentenbescheid. Sie wird bei Kirchenmitgliedern automatisch abgezogen, aber nur, und das möchte ich betonen, wenn Sie überhaupt besteuert werden! Wer also so wenig hat, dass er keine staatliche Steuer zahlen muss, muss auch keine Kirchensteuer zahlen. Dieses auf jeden Fall einigermaßen gerechte Verfahren wird immer wieder kritisiert, das ist aber heute nicht unser Thema.
Die zweite wichtige Form sind die Kollekten und Spenden. Es ist eine jahrtausendealte Tradition, dass in Gottesdiensten für Bedürftige gesammelt wird. Und es gibt ja einige weitere Gelegenheiten, bei denen um Spenden gebeten wird.
Noch mal: herzlichen Dank für jeden Cent!
Zur Zeit Jesu sah das mit den Abgaben und Spenden so aus: Im Tempel in Jerusalem gab es eine Schatzkammer, in der 13 posaunenförmige Geldbehälter standen. Die ersten zwölf waren für bestimmte Zwecke vorgesehen. Der dreizehnte war für freiwillige Abgaben gedacht.
In der Schatzkammer gingen die Besucherinnen und Besucher zu einem der Priester. Sie nannten die Höhe der Spende und den Zweck, für den sie bestimmt sein soll. Der Priester nahm die Münzen entgegen und sagte laut, wie viel es war, bevor er sie dann je nach Bestimmung in einen der Opferstöcke warf. Je wertvoller die Münze war, umso höher wurde sie gehalten und umso lauter wurde bei der Übergabe gesprochen.
Mitten in diesem Betrieb spielt die folgende Geschichte, die die Evangelisten Markus und Lukas schildern:
Die Opfergabe der Witwe (Das Scherflein der Witwe)
Markus 12,41-44
41 Dann setzte Jesus sich in die Nähe des Opferkastens. Dort beobachtete er, wie die Leute Geld hineinwarfen. Viele wohlhabende Leute gaben viel hinein.
42 Da kam auch eine arme Witwe. Sie warf zwei kleine Kupfermünzen hinein – das entspricht der kleinsten römischen Münze.
43 Jesus rief seine Jünger herbei und sagte zu ihnen: »Amen, das sage ich euch: Diese arme Witwe hat mehr gegeben als alle anderen, die etwas in den Opferkasten geworfen haben.
44 Denn alle anderen haben nur etwas von ihrem Überfluss abgegeben. Aber diese Witwe hat alles hergegeben, was sie selbst zum Leben hat – obwohl sie doch arm ist.«
Liebe Gemeinde,
eine Witwe, dazu zählten auch unverheiratet lebende Frauen, war in der damaligen Zeit rechtlich, sozial und wirtschaftlich in einer schwierigen Lage. Eine arme Witwe erst recht. Die Frau in unserer Geschichte hätte mit ihren zwei Kupfermünzen ein wenig Brot kaufen können. Genau betrachtet ist es unvernünftig, was sie tut. Dem Tempel ist es egal, ob er ein paar Kupfermünzen mehr oder weniger hat, für die Frau ist das nicht egal.
Ich habe einige Fragen an die Geschichte. Warum beobachtet Jesus die Leute, die ihre Spenden in den Opferstock werfen? Wir erfahren es nicht, aber wir wissen, dass sich Jesus mit dem Thema „Geben“ beschäftigt hat. Er sagt einmal: „Wenn du aber Almosen gibst, so lass deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut, auf dass dein Almosen verborgen bleibe; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten.“ Damit kritisiert er klar die eben beschriebenen Sitten am Tempel.
Eine andere Frage: Woher kennt er die Situation dieser Frau ohne mit ihr zu sprechen? Woher weiß er, dass sie eine arme Witwe ist? Das verriet wahrscheinlich die Kleidung. Aber vielleicht hat sie ja einen Beutel mit noch viel mehr Münzen bei sich oder daheim versteckt. Oder sie weiß, dass sie am nächsten Tag vom Nachbarn zum Essen eingeladen ist. Wir wissen aber aus vielen Geschichten: Jesus sieht mehr als andere. Für ihn gilt „Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; der HERR aber sieht das Herz an.“ Jesus sieht die Person an, die Spenderin, nicht die Spende. Das können wir auf jeden Fall aus der Geschichte lernen. Es kommt darauf an, mit welcher Haltung wir was tun.
Eine weitere Frage, die viele von uns betrifft. Richtet sich diese Geschichte gegen die, die nur von ihrem Überfluss abgeben, aber nicht ihr letztes Hemd? Sicher nicht. Wie gesagt wird schon immer für Bedürftige gesammelt und da sind selbstverständlich die angesprochen, die etwas abgeben können. Es soll in der Welt gerecht zugehen, das ist richtig. Die Reichen sollen teilen, sagen die entsprechenden biblischen Texte im Alten und Neuen Testament. Dass in unserer Geschichte eine Frau das Letzte gibt, was sie hat, ist nichts, was man nachmachen kann – dazu müsste man erst mal in so einer Situation wie die besagte arme Witwe sein. Unsere Geschichte ist keine moralische Geschichte!
Jesus gibt auch keine weiteren Kommentare zu seiner Beobachtung. Er wendet sich nicht der Frau oder Umstehenden zu. Sonst sagt er schon mal zu jemandem „so geh hin und tu desgleichen“, also „mach es genau so“, wie z.B. in der Geschichte vom barmherzigen Samariter. Er sagt hier zu seinen Jüngerinnen und Jüngern, die er allerdings extra herbeiruft, nur „Diese arme Witwe hat mehr gegeben als alle anderen, die etwas in den Opferkasten geworfen haben“ und „diese Witwe hat alles hergegeben, was sie selbst zum Leben hat“.
Was meint Jesus damit? Oder anders gefragt: Was sieht Jesus in der Tat der Frau, was wir vielleicht nicht sehen?
Einige Gedanken dazu:
Jesus sieht die Herzen. Er sieht, dass diese Frau bis zur äußersten Hingabe geht. Sie vertraut ganz und gar auf Gott und bekommt dadurch eine unglaubliche Freiheit. Sie muss gar nicht überlegen, wie viel sie geben soll, sie hat nur diese zwei Kupfermünzen. Sie vertraut darauf, dass ihr Gott beisteht.
Für Jesus ist dieses Vertrauen wertvoll, nicht das Geld.
Er sagt einmal: „Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft. Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.“!
Dieses Vertrauen und dabei eine große Freiheit sehe ich in unserer Szene.
Der Tempel ist ein Raum für die Begegnung mit Gott. Bei den Wohlhabenden, die etwas von ihrem Geld abgeben und darauf achten, dass die Priester laut sagen, wie toll sie gespendet haben, stehen – vielleicht - ihr Ego und ihre Selbstgefälligkeit einer tieferen Begegnung im Wege.
Die arme Witwe dagegen steht praktisch nackt und bloß in dem Raum der Begegnung mit Gott. In einem Psalm heißt es: „Wie gar nichts sind alle Menschen, die doch so sicher leben. Sie gehen daher wie ein Schatten und machen sich viel vergebliche Unruhe; sie sammeln und wissen nicht, wer es einbringen wird. Nun Herr, wessen soll ich mich trösten? Ich hoffe auf dich.“
In der Begegnung mit Gott geht es um alles. Sie hat alles hergegeben, was sie zum Leben hat. Nichts steht mehr zwischen ihr und Gott.
Ich komme immer wieder auf einen Satz Martin Luthers zurück, den ich sicherlich in der ein oder anderen Predigt schon zitiert habe. In der Auslegung zum Ersten Gebot „Du sollst keine anderen Götter haben neben mir“ schreibt er: „Worauf du nun (sage ich) dein Herz hängst und verlässest, das ist eigentlich dein Gott.“
Ich denke, dass wir in der Geschichte der armen Witwe klar sagen können, worauf sie sich verlässt und woran ihr Herz hängt.
Und wir können uns das selbst immer wieder mal fragen und unseren Alltag, unser Verhalten und unsere Haltung dem Leben und unseren Mitmenschen gegenüber darauf überprüfen. Woran du dein Herz hängst und worauf du dich verlässt, das ist eigentlich dein Gott. So zu fragen: Woran hängt eigentlich mein Herz? Auf wen oder was verlasse ich micht? Das ist eine interessante Übung .... Amen.
Dr. Johannes Neukirch, Predigt im Gottesdienst am 8. Sonntag nach Trinitatis, 7.8.2022, in Ahlem:
Predigttext: Mk 12,41-44
Predigttext: Mk 12,41-44