Predigt aus dem Gottesdienst am 3. Sonntag nach Trinitatis, 3. Juli 2022

Sun, 03 Jul 2022 17:53:25 +0000 von Martin-Luther-Kirchengemeinde Ahlem

Dr. Johannes Neukirch, Predigt im Gottesdienst am 3. Sonntag nach Trinitatis,  3.7.2022, in Ahlem:
Predigttext: Lukas 15,11-32 (Der Predigttext wird als Evangelium des Sonntags gelesen. Text: https://www.die-bibel.de/bibeln/online-bibeln/lesen/BB/LUK.15/Lukas-15)

Liebe Gemeinde,

immer schön in Bewegung bleiben! Falls jemand aus dem medizinischen Bereich unter uns ist, wird sie oder er jetzt anerkennend nicken. Ja, das ist sehr sehr wichtig, immer schön in Bewegung bleiben!

Sie ahnen allerdings, dass ich das in einem umfassenden Sinne meine: körperlich ja, aber auch geistig. Im Blick auf unsere Urteile und Vorurteile, im Blick auf alles, was wir so im Laufe unseres Lebens gelernt haben, im Blick auf unseren Glauben, auf unsere Einstellungen ganz allgemein: Immer schön beweglich bleiben!

Wir haben eben als Lesung das Gleichnis vom verlorenen Sohn gehört. Interessant ist, dass die Basisbibel eine andere Überschrift setzt als die uns bekannte aus der Lutherbibel „Vom Verlorenen Sohn“. Die Basisbibel macht die Überschrift „Das Gleichnis vom Vater und seinen beiden Söhnen“, und das ist auch völlig richtig. Denn die Pointe liegt ja darin, dass der jüngere Sohn wieder zurückkommt, also gar nicht wirklich verlorengeht.

Aber eins nach dem andern. Ich möchte dieses Gleichnis zusammen mit ihnen als eine Geschichte von Bewegungen lesen. Es geht hin und her – manche Bewegungen würden wir auch so machen, andere sind überraschend. 

Der jüngere von zwei Söhnen will vorzeitig sein Erbteil haben, so eine Situation kennen ja einige Familien. Ist das legitim? Ich kann mir vorstellen, dass der Vater nicht damit gerechnet hat. Er muss an seinen Betrieb denken, es gibt viel Arbeit. Aber er lässt sich bewegen, er gibt das Erbteil frei. 

Dann zieht der jüngere Sohn fort, in ein fernes Land. Das ist verständlich. Manche bleiben gerne, manche wollen weg von zu Hause.  Bewegung spüren, aufbrechen, neue, andere, spannende Erfahrungen machen, endlich auf eigenen Füßen stehen, selbst entscheiden. Selbst etwas in Bewegung setzen!

Das geht nicht immer gut. Der Sohn lebt leider nicht solide. Er führte  ein verschwenderisches Leben und verschleuderte sein ganzes Vermögen heißt es. Dann hat er auch noch Pech. In dem Land, in das er gezogen ist, bricht eine Hungersnot aus. Er muss als Schweinehirt arbeiten, und sein Chef ist sehr hartherzig, er lässt sich nicht von der Not des jungen Mannes bewegen. Dieser bekommt nicht mal von dem Schweinefutter etwas ab.

Es geht ihm schlecht, er hat Hunger. Da bewegt sich wieder etwas, diesmal in seinem Kopf und in seinem Herzen. „Da ging er in sich“ heißt es in der Geschichte so schön. Man kann förmlich sehen, wie es in ihm arbeitet, wie sein Innerstes in Bewegung ist und er alle Möglichkeiten hin und her wälzt. Er weiß, dass er kein Recht mehr hat, als Sohn, mit allen Rechten eines Sohnes, zurückzukommen. Er ist so weit, dass er sagt: gut, dann als Knecht. Er sieht  ein, dass er falsch gehandelt hat, das ist schon eine große Bewegung in seinem Gewissen.  In dem Text heißt es: „Ich will zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich bin vor Gott und vor dir schuldig geworden. 19 Ich bin es nicht mehr wert, dein Sohn genannt zu werden. Nimm mich als Arbeiter in deinen Dienst.‹

Schließlich macht er sich auf den Weg. Als er in Sichtweite zu seinem Vater gekommen ist, geschieht eine geradezu unglaubliche, unerwartete Bewegung: Der Vater läuft ihm entgegen! Das ist ungewöhnlich, denn dieser ist ein alter Mann, und die damalige Sitte schreibt vor, dass der junge Sohn zum Vater läuft und nicht umgekehrt! Dazu kommen die Umstände, unter denen der Sohn damals weggegangen war.

Noch ungewöhnlicher ist, was dann geschieht: Der Vater umarmt und küsst ihn, das ist das Zeichen dafür, dass er ihm voll und ganz vergibt. Dann gibt er ihm Kleid und Ring, das ist das Zeichen dafür, dass er ihn ohne Vorbehalte wieder als Sohn annimmt und ihn als Sohn einsetzt. Eine große Liebesbewegung.

Nun kommt der ältere Sohn und ist zornig, dass sein Vater den Bruder so herzlich wieder aufnimmt.  Er geht nicht zum Fest, bleibt starr, bewegt sich nicht. Ich denke: verständlicherweise oder sogar zu Recht! Eltern müssen ihre Kinder gleich behandeln. Als eines von vier Kindern weiß ich, wovon ich spreche. Das geht so gar nicht.

Ein zweites Mal setzt sich der Vater in Bewegung! Diesmal geht er zu dem älteren Sohn, der sich so furchtbar ärgert, und versucht, ihn umzustimmen. Er will ihn in seine Freude mit hineinziehen. Denn er weiß ja, dass dieser sich mit gutem Grund ärgert. 

Ob sich der ältere Sohn dann in Bewegung setzt und auf seinen Bruder und Vater zugeht, erfahren wir nicht.

Die umfassendste Beschreibung einer  Bewegung steht im letzten Vers unseres Gleichnisses. Da sagt der Vater zu dem älteren Sohn als Erklärung für sein Verhalten: 

32 Aber jetzt mussten wir doch feiern und uns freuen: Denn dein Bruder hier war tot und ist wieder lebendig. Er war verloren und ist wiedergefunden.‹«

Denn dein Bruder hier war tot und ist wieder lebendig. Eine Bewegung vom Tod zum Leben. Eine Bewegung, die den jüngeren Sohn rettet.

Liebe Gemeinde, es bewegt sich sehr viel in dieser Geschichte: Menschen gehen auseinander. Menschen gehen aufeinander zu. Menschen überschreiten ihre Grenzen und vergeben sich, obwohl jede und jeder dafür Verständnis hätte, wenn sie es nicht tun würden. 

Aber sie tun es, das ist das Wunder.
Wie ist das möglich, dass alles gut wird?

Jesus hat diese Geschichte als ein Gleichnis erzählt und will sagen: Was bei Menschen oft nicht mehr geht, bei Gott ist es möglich – das ist die Botschaft . Gott will nicht, dass Menschen verloren gehen. Er lässt sie ihre Wege suchen und ihre Fehler machen. Doch wie der gute Vater lässt Gott sie nicht fallen: wartet, geht entgegen, feiert ein Fest für den wiedergefundenen Sohn, den Sünder, der zurückkehrt.

Warum tut Gott das? In dem Gleichnis heißt es: Weil er sich freut, wenn ein Verlorener gerettet wird. So einfach istklingt das, weil er sich freut.

Wenn das nun tatsächlich so ist: Wenn Gott uns aus lauter Freude annimmt und rettet, dann muss das doch auf uns auch eine Wirkung haben. Wenn Gott sich auf uns zubewegt und uns entgegenläuft, obwohl wir das überhaupt nicht verdient haben, dann kann das auch bei uns etwas in Bewegung setzen: Das kann Herzen aufweichen, damit Eltern zu ihren Kindern, Kinder zu ihren Eltern, Nachbarn zu Nachbarn, Feinde zu Feinden hinlaufen und zueinander finden - egal, was vorher war. Aufeinander zugehen, gegenseitig Suchen und Finden, Umkehren. 

Schließlich geht es, wie gesagt, um viel: „Denn dein Bruder hier war tot und ist wieder lebendig. Er war verloren und ist wiedergefunden“. 

Ich wünsche uns, dass uns diese Geschichte vom verlorenen Sohn in Bewegung setzt,  auch mal in eine Richtung, die wir gar nicht gehen wollten, und dass sie uns  immer in Bewegung hält! 

Amen.
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