Dr. Johannes Neukirch, Predigt im Gottesdienst am 1. Sonntag nach Trinitatis, 19.6.2022, in Ahlem:
Predigttext: Lukas 16,19-31
Predigttext: Lukas 16,19-31
Die Geschichte vom reichen Mann und dem armen Lazarus
19 »Einst lebte ein reicher Mann. Er trug einen Purpurmantel und Kleider aus feinstem Leinen. Tag für Tag genoss er das Leben in vollen Zügen. 20 Aber vor dem Tor seines Hauses lag ein armer Mann, der Lazarus hieß. Sein Körper war voller Geschwüre. 21 Er wollte seinen Hunger mit den Resten vom Tisch des Reichen stillen. Aber es kamen nur die Hunde und leckten an seinen Geschwüren.
19 »Einst lebte ein reicher Mann. Er trug einen Purpurmantel und Kleider aus feinstem Leinen. Tag für Tag genoss er das Leben in vollen Zügen. 20 Aber vor dem Tor seines Hauses lag ein armer Mann, der Lazarus hieß. Sein Körper war voller Geschwüre. 21 Er wollte seinen Hunger mit den Resten vom Tisch des Reichen stillen. Aber es kamen nur die Hunde und leckten an seinen Geschwüren.
22 Dann starb der arme Mann, und die Engel trugen ihn in Abrahams Schoß. Auch der Reiche starb und wurde begraben. 23 Im Totenreich litt er große Qualen. Als er aufblickte, sah er in weiter Ferne Abraham und Lazarus an seiner Seite.
24 Da schrie er: ›Vater Abraham, hab Erbarmen mit mir! Bitte schick Lazarus, damit er seine Fingerspitze ins Wasser taucht und meine Zunge kühlt. Ich leide schrecklich in diesem Feuer!‹
25 Doch Abraham antwortete: ›Kind, erinnere dich: Du hast deinen Anteil an Gutem schon im Leben bekommen – genauso wie Lazarus seinen Anteil an Schlimmem. Dafür findet er jetzt hier Trost, du aber leidest. 26 Außerdem liegt zwischen uns und euch ein tiefer Abgrund. Selbst wenn jemand wollte, könnte er von hier nicht zu euch hinübergehen. Genauso kann keiner von dort zu uns herüberkommen.‹
27 Da sagte der Reiche: ›So bitte ich dich, Vater: Schick Lazarus doch wenigstens zu meiner Familie. 28 Ich habe fünf Brüder. Lazarus soll sie warnen, damit sie nicht auch an diesen Ort der Qual kommen!‹
29 Aber Abraham antwortete: ›Sie haben doch Mose und die Propheten: Auf die sollen sie hören!‹ 30 Der Reiche erwiderte: ›Nein, Vater Abraham! Nur wenn einer von den Toten zu ihnen kommt, werden sie ihr Leben ändern.‹
31 Doch Abraham antwortete: ›Wenn sie auf Mose und die Propheten nicht hören – dann wird es sie auch nicht überzeugen, wenn jemand von den Toten aufersteht.‹«
Liebe Gemeinde,
Liebe Gemeinde,
ich wüsste ja nur zu gerne, warum Lukas diese Geschichte vom reichen Mann und dem armen Lazarus in seinen Bericht über das Leben Jesu aufgenommen hat und wen er dabei vor Augen gehabt hat. Wir wissen es leider nicht. Lukas schreibt am Anfang seines Berichts selbst, dass er kein Augenzeuge gewesen ist, also Jesus nicht persönlich gekannt hat. Er hat den Anspruch, die Geschichten von Jesus sorgfältig zu sammeln und zu sortieren. Das merken wir daran, dass viele seiner Geschichten auch in den Darstellungen von Matthäus und Markus zu finden sind. Darüber hinaus kennt er aber Texte, die die anderen Evangelisten nicht haben, die nur bei ihm exklusiv zu finden sind. Unsere Geschichte gehört dazu, wahrscheinlich fällt sie deshalb etwas aus dem Rahmen.
Ob Jesus diese Story irgendwann selbst erzählt hat? Wir wissen es nicht. Sicher ist aber, dass es sie schon lange vor Jesus gab. Vielleicht geht sie sogar auf ein ägyptisches Märchen zurück. Das deutet ja auch der Anfang an „Einst lebte ein reicher Mann .....“ fast so wie die deutschen Märchen „Es war einmal“ ... Lukas hat also diese Geschichte gehört oder gelesen und offensichtlich fand er sie wichtig und hilfreich. Er hat wohl bestimmte Situationen zu denen sie passte in seinem Umfeld vor Augen gehabt,, vielleicht in seiner Gemeinde,
Wenn ich mir die Bilder dieser Geschichte anschaue, kann ich verstehen, dass Lukas sie aufgenommen hat. Sie sprechen für sich. Der Lazarus, der nach allem Furchtbaren, was er erleiden musste, nun in Abraham Schoß sitzt, sicher, geborgen, mit allem versorgt – so wünschen wir uns das. Und der Reiche, der in der heißen Hölle sitzt und darum bettelt, dass Lazarus seine Fingerspitze ins Wasser taucht und seine seine Zunge kühlt. Dabei wird grausam deutlich, dass für ihn – aber das gilt selbstverständlich nicht nur für reiche Menschen – dass für ihn nach seinem Tod alles zu spät ist – er kann nichts wieder gut machen. Zwischen Lazarus und ihm, so heißt es, ist ein tiefer Graben, den er nicht überwinden kann.
Das ist eine Geschichte, die die Leserinnen und Leser belehren will, ein Gleichnis, ein Lehrstück, eine Moral von der Geschichte. Um Jesus Christus und den christlichen Glauben geht es diesmal nicht, jedenfalls nicht direkt.
Schauen wir genauer rein:
Einst lebte ein reicher Mann, so beginnt es, der Tag für Tag das Leben in vollen Zügen genoss. Wir erfahren nicht, wie er zu seinem Reichtum gekommen ist, ob er ihn rechtschaffen erworben hat oder nicht, ob es ein frommer Mann war oder nicht. Wir können ihn eigentlich gar nicht beurteilen. „Reich“ steht hier für „er hat nur sich im Blick“.
„Aber vor dem Tor seines Hauses lag ein armer Mann, der Lazarus hieß. Sein Körper war voller Geschwüre. Er wollte seinen Hunger mit den Resten vom Tisch des Reichen stillen.“ Auch von Lazarus wissen wir nicht viel. Warum war er arm – selbst verschuldet oder unschuldig? War er fromm? Klar ist nur: er ist auf Hilfe angewiesen.
Aber es gibt hier eine Besonderheit: Anders als der reiche Mann hat der arme Mann in der Geschichte einen Namen: Lazarus, das heißt übersetzt: „Gott hilft“ oder „Gott hat geholfen“. Lazarus ist die einzige namentlich bekannte Figur in allen bekannten Gleichnissen der Bibel – sonst geht es immer nur ganz allgemein um eine Frau, einen Mann, ein Kind ...
Der Arme, der auf dem Boden liegt, hat einen Namen, er kommt uns dadurch näher, er bekommt ein Stück Würde. Dass er in unserer Geschichte einen Namen hat, sagt auch: Gott sieht das Leid!
Weil er einen Namen hat, können wir ihm nicht so gut ausweichen. Sie kennen das, wenn Sie durch die Stadt laufen und da sitzt ein Bettler. So lange er anonym ist, können Sie leichter vorbeilaufen als wenn Sie seinen Namen kennen würden! Wenn wir die Geschichte genau lesen, dann schreit der Reiche als er in der Hölle ist zu Abraham „Bitte schick Lazarus“ – hat er ihn gekannt? Wusste er, wer da vor seinem Haus liegt?
Auf jeden Fall ist klar: Es wäre gut gewesen, wenn er ihn beachtet und ihm wenigstens die Essensreste gegeben hätte. Wenn er hingeschaut hätte, achtsamer gewesen wäre.
Nun sterben beide. Lazarus wird von den Engeln weggetragen, weil ihn selbstverständlich niemand begräbt – das kostet ja. Er landet direkt in Abrahams Schoß. Abrahams Schoß ist ein Symbol für „alles ist gut“.
Der Reiche landet im Totenreich und leidet große Qualen, wie es heißt, von einem Feuer ist die Rede. In weiter Ferne sieht er Abraham, den Urvater der jüdischen Religion, und Lazarus an seiner Seite. Er schreit: ›Vater Abraham, hab Erbarmen mit mir! Bitte schick Lazarus, damit er seine Fingerspitze ins Wasser taucht und meine Zunge kühlt.“
Interessant ist, dass er nicht direkt Lazarus anspricht. Er könnte ihn ja bitten, rüberzukommen. Statt dessen denkt er, er könne Abraham beauftragen.
„Doch Abraham antwortete: ›Kind, erinnere dich: Du hast deinen Anteil an Gutem schon im Leben bekommen – genauso wie Lazarus seinen Anteil an Schlimmem. Dafür findet er jetzt hier Trost, du aber leidest.“
Hier, liebe Gemeinde, bewegt sich die Geschichte, wie ich meine, auf dünnem Eis. Ich kenne keine anderen biblischen Aussagen, die diese Vorstellung stützen könnten. Also: Alle die Schlimmes erlebt haben – egal was sie in ihrem Leben getan und geglaubt haben – und alle, die Gutes erlebt haben – egal was sie sonst in ihrem Leben getan und geglaubt haben – erleben nach ihrem Tod jeweils das Gegenteil!? Das ist sicherlich nicht der Kern der christlichen Botschaft. Da merkt man der Geschichte an, dass sie lange vor dem Auftreten Jesu entstanden ist.
Im Rest der Geschichte spielt das auch keine Rolle mehr. Vielmehr kommt der Reiche jetzt auf eine verrückte Idee: Abraham soll Lazarus zu seinen fünf Brüdern schicken und diese warnen, damit sie sich nicht „an diesen Ort der Qual kommen“!
Und hier kommen wir, die Zuhörerinnen und Zuhörer ins Spiel. Im Normalfall sind wir weder in der Rolle des Armen noch in der Rolle des Reichen – so wie sie hier beschrieben werden. Aber wenn der Reiche sagt: Warne meine Brüder, dann könnte Lukas damit einen Hinweis auf die Gemeinde geben. Die Geschichte soll die Schwestern und Brüder in der Gemeinde aufrütteln und warnen. Aber das klappt nicht.
Abraham antwortet geschickt: sie – also wir alle - haben Mose und die Propheten, also das Gesetz und die Predigten und Warnungen der Propheten, wissen also was richtig und falsch ist. Sie / wir müssen nur tun, was Mose, also das Gesetz, und die Propheten sagen.
Ja, wenn das nur immer so einfach wäre. Wir, liebe Gemeinde, kennen die zehn Gebote und Warnungen der Propheten und wissen, was die Werke der Barmherzigkeit sind – da müssen wir ja nur unsere Keramik hier anschauen. Aber das alles zu kennen und dann das Nötige zu tun, ist nicht immer so einfach. Wo fängt das an, wo hört das auf?
Der Reiche weiß das auch, geht noch einen Schritt weiter und sagt zu Abraham ›Nein, Vater Abraham! Nur wenn einer von den Toten zu ihnen kommt, werden sie ihr Leben ändern.‹ Doch Abraham antwortete: ›Wenn sie auf Mose und die Propheten nicht hören – dann wird es sie auch nicht überzeugen, wenn jemand von den Toten aufersteht.‹«
Liebe Gemeinde,
wie gesagt, das ist ein Gleichnis und eine Geschichte, die lange vor Jesus entstanden ist, was man ihr auch ansieht. Lukas hat sie aufgenommen, so habe ich anfangs gesagt, weil er sie offensichtlich wichtig findet.
Warum?
Ich kann mir vorstellen, dass Lukas uns mit diesen Bildern den Ernst der Lage vor Augen führen will. Wir hören die Worte der Bibel, aber was für Konsequenzen hat das für uns?
Seine Geschichte sagt: Denkt vom Ende her!
Es ist ja hochinteressant, dass Fridays for Future und andere Bewegungen genau so argumentieren: Denkt vom Ende her und zieht daraus eure Konsequenzen für das Hier und Heute.
Auch wenn wir die ganzen Ausschmückungen mit der Hölle weglassen. Handeln können wir nur, so lange wir leben. „Machen ist wie Wollen, nur krasser“ habe ich mal auf einer Postkarte gelesen.
Und das zweite, was ich mir vorstellen kann, bezieht sich auf den Schluss der Geschichte. Da sagte ja der Reiche: das Reden und Hören reicht nicht aus. Nur wenn einer von den Toten zu ihnen – also zu seiner Familie – kommt- werden sie ihr Leben ändern.
Wie haben das die Menschen in den Gemeinden damals gehört, wie hören wir das heute? Lukas hat vielleicht darauf gesetzt, dass die Menschen damals wie heute diesen Gedanken ergänzen und dem Abraham sagen: Nein du irrst, da gibt es jemanden, der uns überzeugen kann: Jesus, der Sohn Gottes, ist von den Toten auferstanden und will unser Leben verändern. Er vergibt uns uns unsere Schuld, er stellt die Verbindung zwischen uns und Gott wieder her und ermöglicht dadurch, dass wir in Liebe und Barmherzigkeit handeln.
„Machen ist wie Wollen, nur krasser“
Amen.