Dr. Johannes Neukirch, Gottesdienst am 17.4.2022 in Ahlem
Predigttext: Markus 16,1-8 (Evangeliumslesung)
Predigttext: Markus 16,1-8 (Evangeliumslesung)
Liebe Gemeinde!
Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden! Mit diesem Ostergruß haben wir uns heute Morgen begrüßt. Das ist die kürzeste Zusammenfassung dessen, worauf es ankommt:
Es gibt nicht nur diese Karfreitagswelt, in der es Leid und Tod gibt und in der wir gefangen zu sein scheinen. Mitten in dieser Karfreitagswelt hat sich eine andere Welt geöffnet, eine andere Dimension aufgetan: die Osterwelt.
Das Markusevangelium liefert uns dazu die erste und älteste Erfahrung, die den innersten Kern der Osterbotschaft bildet. Wir haben die Geschichte gehört. Die drei Frauen aus dem engsten Kreis der Menschen um Jesus herum sind am Ostermorgen aufgebrochen, um zum Grab zu gehen und den toten Jesus zu salben. Sie sind ganz gefangen in der Karfreitagswelt, in der Welt der unumstößlichen Fakten und all dessen, was damit einhergeht.
Sie müssen überhaupt erst einmal an sich heranlassen, dass Jesus am Kreuz gestorben ist. Ihnen ist klar: tot ist tot. Sie gehen - wie wir - davon aus, dass der Tod das sicherste ist, was es überhaupt gibt auf der Welt – deshalb sagen wir ja auch: etwas ist todsicher.
Zu dieser Karfreitagswelt, in der sie und wir verhaftet sind, gehören auch alle Bräuche und Traditionen, die mit dem Tod von Menschen verbunden sind und waren. So war es im vorderen Orient der Zeit Jesu ein Ritual, den verstorbenen Menschen noch einmal zu salben, um ihm so ein letztes Mal seine Liebe zu zeigen und seinen Körper wenigstens für eine gewisse Zeit vor dem Zerfall zu schützen. Aus psychologischer Sicht würde man heute dazu sagen: es war ein wichtiger Schritt der Trauerarbeit, bei dem Menschen sich nach und nach vergegenwärtigen, dass dieser Verstorbene tatsächlich nicht mehr lebt. Bei uns heute entspricht das dem Herunterlassen des Sarges oder der Urne in die Grabstätte im Rahmen der Trauerfeier.
Erst, wenn wir realisiert haben, dass dieser Mensch nun nicht mehr da ist, sind wir in der Lage, ein neues Leben ohne diesen Menschen aufzubauen. Bis wir das aber realisiert haben, können uns merkwürdige Eindrücke und Bilder begleiten: ich sehe meine Mutter da immer noch in ihrem Sessel sitzen, erzählt mir eine Frau. Ein Mann sagt, er hört immer noch die Schritte seines Großvaters – wie er in seinem Zimmer auf und ab gegangen ist. Es kann sogar richtige Trauerverarbeitungsstörungen geben, die zeigen, dass die Seele eines Menschen einfach nicht in der Lage ist, den Tod eines anderen anzuerkennen, zu begreifen.
All das gehört in die Karfreitagswelt. Aber die Frauen im Osterevangelium des Markus machen an diesem Morgen eine umstürzende Erfahrung. Diese ist noch mal was ganz anderes als als Störungen in der Trauerverarbeitung. Hier wird kein Märchen erzählt nach dem Motto „In den alten Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat!“. Denn was die Frauen erleben, entspricht sicher nicht ihren Wünschen.
1.Sie kommen zum Grab und begegnen einem Engel. Ihre trauernden Seelen hätten doch eher die Gegenwart des auferstandenen Jesus selbst gewünscht. Aber nein – hier wartet ein Engel auf sie und gibt ihnen einen Auftrag, der sie vor die nächste Herausforderung stellte:
2. Sie sollen zurückgehen und den Männern berichten: Jesus ist auferstanden und wird vor ihnen her gehen. Aber - wie sollen die Frauen das machen, ohne von den Männern für verrückt gehalten zu werden? Die Frauen wussten: sie würden nicht ernstgenommen werden - sie hatten auch vor Gericht überhaupt keine Glaubwürdigkeit. Frauen gelten ja bis heute in vielen Kreisen als zu emotional.
3. Und wenn sie sich das alles ausgedacht hätten, wenn ihre trauerkranken Seelen sich die Auferstehung phantasiert hätten, weil sie den Schmerz nicht ertragen konnten, dann wären sie doch nicht in Furcht und Schrecken vom Grab weggelaufen. Dann wären sie in Jubel ausgebrochen und hätten gefeiert. Aber ihr Schreck muss so tief gesessen haben und auch für die Männer so überzeugend gewesen sein, dass – so berichtet Lukas – Petrus sofort selbst zum Grab gelaufen ist, um nachzusehen, ob das wahr ist. Er traf den Engel nicht. Aber die Leinentücher, in die die Frauen Jesus vor seinem Begräbnis gewickelt hatten, die fand er, sie lagen da wie Kleidung, die jemand ausgezogen hat.
Nein, es gibt nicht nur die Karfreitagswelt. Die österliche Welt, die Welt des neuen Lebens und der Freude bricht an diesem ersten Ostermorgen hinein in die Trauer und Angst, sie bricht sich Bahn wie Sonnenstrahlen, die durch die Wolkendecke brechen, wie eine Quelle, die aus dem Felsen hervorsprudelt
Alle solchen Bilder können die Kraft und die Freude nicht fassen, die aus der Auferstehung Christi folgt. Im neuen Testament sehen wir: Das ging auch damals nicht sofort. Die Osterbotschaft der Frauen war so gewaltig, dass es Zeit brauchte und einige Begegnungen, die die Männer danach mit dem Auferstandenen selbst hatten, bis auch ein ungläubiger Thomas seine Knie vor dieser Wahrheit beugte und Jesus als Herrn und Gott anerkannte.
Sie taten, womit die Frauen angefangen hatten: sie verbreiteten diese Botschaft, erzählten sie weiter und dabei machten sie das, was alle machen, die anderen etwas weitersagen wollen: sie deuteten das, was da geschehen war. Sie erklärten es zuerst sich selber und untereinander und dann den Außenstehenden: der Tod Jesu am Kreuz war kein Scheitern, sondern der Sieg der Liebe! In der Karfreitagswelt gilt der Starke, der sich durchsetzt, als Gewinner. Aber in der Osterwelt gewinnt der, der um der Liebe willen verliert.
Die Jünger begriffen: Die Auferstehung war und ist die Bestätigung von allem, was Jesus gesagt und gelebt hat: Selig sind die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden! Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen! Und jetzt müsste ich viele Verse aus dem Neuen Testament zitieren, in denen Worte Jesu im Licht des Ostermorgens bestätigt werden. Die Evangelien lassen uns mitvollziehen, wie die Jünger Jesu die Osterbotschaft gedeutet und weitergegeben haben.
Heute sind wir dran! Losgehen, weitersagen: zum Beispiel so:
Entscheidend wichtig für unser Leben, für unsere Welt, ist nicht die Liebe zur Macht, sondern die Macht der Liebe.
Ja, wir denken oft: mitten im Leben wir sind vom Tod umfangen – aber Ostern dreht unseren Blick um: mitten im Tod sind wir zum Leben befreit!
Oder so, wie wir gleich singen werden: Wir wollen alle fröhlich sein in dieser österlichen Zeit, denn unser Heil hat Gott bereit! Halleluja, halleluja, halleluja, halleluja, gelobet sei Christus, Marien Sohn. Amen.