Textgrundlage sind der Wochenpsalm und zwei Lesungen - Ps 23, Hes 34,1-16.31, Joh 10,11-6.27-30
Liebe Gemeinde,
Liebe Gemeinde,
ein Hirte, eine Hirtin und eine Schafherde. Am besten mitten in der Lüneburger Heide.
Wie schön, wie romantisch, wir haben wahrscheinlich alle gleich Bilder vor Augen.
Der NDR hat ein Interview mit Steffen Schmidt gemacht, er ist Schäfer in der Lüneburger Heide. Frage der Reporterin: „Mein Eindruck ist, dass der Beruf Schäfer*in vielfach verromantisiert wird. Stimmt das? Empfinden Sie das auch so?“
Schmidt: „Stimmt! Das wird sehr verromantisiert. Also bei uns kommen ständig Anfragen von Menschen, die mal mithelfen wollen, die mal ein Praktikum machen wollen. Da merkt man ganz schnell, dass das total romantisch gesehen wird! Viele denken, der Schäfer oder die Schäferin steht draußen bei ihrer Herde und guckt ihrer Herde beim Fressen zu. Und das ist es dann schon. Aber das ist bei Weitem nicht alles. Also erst einmal steht man ja bei jedem Wetter dann auch draußen. Zum Beispiel heute haben wir zwei Grad und Schneeregen. Auch dann steht man draußen mit den Schafen, und die müssen so lange gehütet werden, bis sie satt sind. Das ist ein harter Job. Das ist nicht zu unterschätzen. Das sind alles körperliche, anstrengende - und auch ich sag jetzt mal schmutzige Arbeiten. Das gehört alles dazu.“
Frage der Reporterin: „Okay, was ist das Nervigste?“ Schmidt: „Was ist das Nervigste - Schafe, die aus der Reihe tanzen.“ (lacht)
Respekt vor allen Hirtinnen und Hirten! Seit vielen tausend Jahren hüten sie ihre Schafherden. Kein Wunder also, dass das Sorgen um die Schafe als Bild in die Religionen übernommen wurde. Das Hirtenbild steht oft für den König oder für Gott. Sie sollen sich um die Menschen kümmern.
Wenn alle Herrscher und Herrscherinnen der Welt, die Verantwortlichen, die Politikerinnen und Politiker das doch immer und überall täten!
Was wir vorhin in der Lesung gehört haben, Worte des Propheten Hesekiel, ist leider brandaktuell und trifft nicht nur die damalige Zeit und nicht nur das Volk Israel.
Hesekiel stellt an die Hirten von Israel, an die Verantwortlichen in seinem Volk eine ganz einfache Frage, die bis heute gültig ist: „Ihr Hirten von Israel, schreibt er, ihr weidet euch ja selbst! Weiden Hirten sonst nicht die Schafe?“
Natürlich weiden Hirten die Schafe und nicht sich selbst! Aber so war es eben nicht. Und heute? Da fallen uns genügend Beispiele ein, die wir jeden Tag in der Zeitung lesen oder in den Nachrichten hören können. „Ihr weidet euch selbst“ – Menschen, die nur auf ihren eigenen Vorteil schauen, die machtgierig sind, die sich Paläste bauen, die Mensch und Natur ausbeuten, die für Gewalt und Krieg verantwortlich sind.
Konkret sagt Hesekiel: „Die Schwachen habt ihr nicht gestärkt und die Kranken nicht geheilt. Verletzte habt ihr nicht verbunden und verirrte Schafe nicht eingefangen.
Schafe, die sich verlaufen haben, habt ihr nicht gesucht. Mit Stärke und Gewalt wolltet ihr sie beherrschen.“
Dabei sehe ich uns alle in der Rolle von Hirten. Nicht nur die Mächtigen, die Herrschenden. Wir alle sind doch für Andere und für unsere Umwelt verantwortlich.
Ob das die Eltern für ihre Kinder sind, die Kinder für ihre Eltern, die Gesunden, Kräftigen für die Kranken, Schwachen, die Jungen für die Alten und so weiter. Als Menschen in unserer Gesellschaft - in welcher Rolle und Funktion auch immer – tragen wir Verantwortung. Deshalb: müssen wir uns nicht alle diese Frage gefallen lassen: Weiden wir uns selbst oder weiden wir unseren Nächsten, unsere Nächste?
Es ist gut, dass Hesekiel so deutliche Worte findet. Dass er uns so auf unsere Defizite stößt und selbstkritisch macht.
Wie gehen wir damit um? Sagen wir: wir müssen besser werden? Und besser werden? Und immer noch besser? Wir werden eines Tages müde und erschöpft davon sein. Viele sind es bereits, schalten ab und ziehen sich zurück. Das Hirtenamt ist ein harter Job.
Oder sagen wir: wir können nicht pausenlos gute Hirten sein! Wir müssen auch Schafe sein dürfen, die selbst einem Hirten vertrauen, ihn machen lassen, ihn entscheiden lassen, uns von ihm helfen lassen.
In der Bibel lesen wir: Es gibt einen guten Hirten.
Der HERR ist mein Hirte,
mir wird nichts mangeln.
2 Er weidet mich auf einer grünen Aue
und führet mich zum frischen Wasser.
So fängt Psalm 23 an. Wir haben ihn vorhin gebetet.
Es ist einer der wichtigsten Texte, die wir aus der Bibel kennen.
Er hat unzähligen Menschen in Leid und Not geholfen.
Er gibt Hoffnung.
Er greift ins Herz.
Gerade, wenn wir schwach und verzweifelt sind.
Er strahlt aus, dass unser Gott stärker ist als alle Not, stärker als der Tod.
Gott sei Dank müssen wir uns ja gar nicht selbst weiden.
Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,
fürchte ich kein Unglück;
denn du bist bei mir,
dein Stecken und Stab trösten mich.
Und wenn ein Mensch aus der Reihe getanzt ist – wie der Berufshirte sagte im Blick auf die Schafe, die sich von der Herde absetzen – wenn einer aus der Reihe getanzt ist, den Glauben an Gott verloren hat oder nie so richtig gefunden hat – was ist mit dem?
Auch für den ist der gute Hirte da! In der Lesung aus dem Johannesevangelium haben wir vorhin gehört, dass Jesus Christus das Hirtenamt Gottes übernommen hat. Er sagt:
„Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte setzt sein Leben ein für die Schafe.“
Er versteht das Hirte-Sein als Auftrag von seinem himmlischen Vater, für alle da zu sein, auch für die „Einzeltänzerinnen und Einzeltänzer“ 😉, für die, die aus der Reihe tanzen. Und er nimmt diesen Auftrag ernst, lässt sich sogar ans Kreuz nageln. Denn er ist keiner, der Schafe nur für Geld hütet und sie im Stich lässt, wenn der Wolf kommt. „Ich bin bereit, mein Leben für die Schafe einzusetzen“, sagt er. Und weiter:
„Ich gebe ihnen das ewige Leben. Sie werden in Ewigkeit nicht ins Verderben stürzen und niemand wird sie aus meiner Hand reißen. Mein Vater, der sie mir anvertraut hat, ist mächtiger als alle. Niemand kann sie aus seiner Hand reißen. Ich und der Vater sind eins.“
Was für ein mächtiger Hirte spricht hier! Ein Menschenhirte, der uns weidet, begleitet, beschützt, stärkt, tröstet wie nur Gott es kann. Er sorgt. Er stärkt die Schwachen. Er verbindet die Verletzten. Er sucht die Schafe, die sich verlaufen haben. Er lässt kein einziges im Stich. Er gibt sein Leben für sie! In seiner Herde – um im Bild zu bleiben - sind wir keine dummen Schafe, die ausgenutzt und in die Irre geleitet werden. Nein! In seiner Herde sind wir Gottes geliebte und gesehene Menschen. Jesus selbst sagt es so: „Meine Schafe hören auf meine Stimme. Ich kenne sie und sie folgen mir“.
Hirtensonntag im Jahr 2023. Das Bild des guten Hirten ist immer noch wirksam, auch wenn es viele tausend Jahre alt ist. Lasst uns Gott bitten, dass dieses Bild in unseren Herzen stark wird und bleibt, dass wir ihm als unserem guten Hirten vertrauen und dadurch selbst gute Hirten werden, die im Glauben, in der Liebe und in der Hoffnung für andere und unsere Welt da sind.
Amen.
Dr. Johannes Neukirch, Predigt im Gottesdienst in Ahlem am 23. April 2023