Matthäus 9,9-13
Jesus beruft Matthäus und isst mit Zolleinnehmern
Jesus beruft Matthäus und isst mit Zolleinnehmern
9 Jesus ging von Kapernaum weiter.
Da sah er einen Mann an seiner Zollstation sitzen.
Er hieß Matthäus.
Jesus sagte zu ihm: »Komm, folge mir!«
Da stand er auf und folgte ihm.
10 Später war Jesus im Haus zum Essen.
Viele Zolleinnehmer und andere Leute,
die als Sünder galten, kamen dazu.
Sie aßen mit Jesus und seinen Jüngern.
11 Als die Pharisäer das sahen,
sagten sie zu seinen Jüngern:
»Warum isst euer Lehrer mit Zolleinnehmern und Sündern?«
12 Jesus hörte das und antwortete:
»Nicht die Gesunden brauchen einen Arzt,
sondern die Kranken.
13 Überlegt doch einmal,
was es bedeutet, wenn Gott sagt:
›Barmherzigkeit will ich und keine Opfer!‹
Ich bin nicht gekommen,
um die Gerechten zu rufen,
sondern die Sünder.«
(Übersetzung der BasisBibel)
(Übersetzung der BasisBibel)
Liebe Gemeinde,
Eindrücke von einer Reise: Mitte Januar sind meine Frau und ich nach Dschidda geflogen, einer Hafenstadt in Saudi-Arabien. Wir waren eingeladen und haben einen Workshop und einen Vortrag gehalten. Vorrangig war die Veranstaltung für Deutsche, die in Dschidda leben. Saudi-Arabien ist ein streng muslimisches Land, das sich aber langsam öffnet.
Am Gate auf dem Frankfurter Flughafen fielen uns mehrere Männer wegen ihrer Kleidung auf. Jeder war in zwei große, weiße Leintücher ohne Naht eingehüllt. Dazu trugen sie leichte Sandalen. Es waren Pilger in ihren Pilgergewändern. Pilgerinnen gibt es selbstverständlich auch, die dürfen aber ihre normale Kleidung anbehalten. Wir waren nicht in der Zeit des Haddsch, das ist die große Pilgerfahrt nach Mekka, die alle Muslime einmal im Leben absolvieren sollen. Aber es ist möglich, zu jeder beliebigen Zeit eine kleine Pilgerfahrt nach Mekka zu machen, die so genannte Umra.
Der Anblick der Pilger, der Gebetsteppich Richtung Mekka am Gate in Frankfurt, die verschleierten Frauen – da beschlich uns schon ein Gefühl der Fremdheit, aber auch ein wenig der Faszination.
Dieses Pilgergewand zum Beispiel, hat alle gleich gemacht. Man konnte den Arbeiter nicht mehr vom Banker unterscheiden. Und es war deutlich zu spüren, dass sie, wie soll ich sagen, gemeinsam etwas Heiliges unternommen haben. Man konnte sehr deutlich fühlen, dass sie ernst genommen haben, was ihre Religion von ihnen fordert.
Auf dem Flug mit Saudia-Air ging es dann weiter. Als wir in der Nähe von Mekka waren, gab es per Lautsprecher immer wieder Durchsagen, wann wir die Miquat-Linie überfliegen. Das ist eine geographische Markierung, bei der Pilgerinnen und Pilger in einen besonderen Zustand geraten, manches ist dann verboten.
Ich schildere diese Eindrücke, weil in unserem Predigttext von den Pharisäern die Rede ist. Sie fragen die Begleiterinnen und Begleiter von Jesus »Warum isst euer Lehrer mit Zolleinnehmern und Sündern?« In dieser Frage zeigt sich die wichtigste Eigenschaft der Pharisäer: Sie haben die Gesetze sehr streng befolgt. und hätten sich auf keinen Fall mit solchen Sündern an einen Tisch gesetzt. Und als ich darüber nachgedacht habe, was denn hinter dieser Frage steckt, fielen mir die Pilger ein. Sie hätten sich mit den Pharisäern wahrscheinlich gut verstanden. Gemeinsam hätten sie gesagt: Wir befolgen sehr genau den Willen Gottes. Wir tun das, was er von uns will.
Das finde ich erst mal grundsätzlich richtig. Die Frage, was Gott von uns will, sollten sich alle Menschen ernsthaft stellen.
Zurück zu den Pharisäern – was sind das überhaupt für welche? Es sind Menschen, die einer bestimmten jüdischen Glaubensrichtung angehören. Da gab es mehrere, so wie in unserer Religion ja auch. Das entscheidende Merkmal der Pharisäer war, wie eben gesagt, dass sie sich sehr genau an das Gesetz gehalten haben! Nicht nur an die vielen Gesetze, die im Alten Testament stehen, sondern auch an die, die in ihrer Tradition mündlich überliefert worden sind. Ansonsten waren es meistens ganz normale Leute, Handwerker oder Kleinbauern. Aber sie waren eben Experten in Gesetzesdingen, zum Beispiel darin, welche Nahrungsmittel unrein und welche rein sind. Und sie hielten sich fern von den Menschen, die da eher eine laxe Auffassung hatten.
In den Evangelien stehen sie meist in einem schlechten Licht, besonders bei Matthäus. Die Pharisäer fordern Jesus heraus, stellen ihm Fallen oder stellen ihn auf die Probe.
Wie Matthäus sie darstellt, ist allerdings oft übertrieben. Da sind sich kundige Leute sicher. Matthäus will die Christinnen und Christen von ihnen abgrenzen, weil sie Jesus nicht als Gottes Sohn anerkennen. Deshalb kommen sie bei ihnen nicht gut davon. Sie selbst fühlten sich nun mal gerecht und gut, im Unterschied zu den Sündern, die sich nicht an den Willen Gottes halten. Das sei zu ihrer Ehrenrettung festgehalten.
Aus ihrer Sicht war das, was Jesus getan hat, völlig falsch. Er hat zu einem Zöllner gesagt „Komm, folge mir“. Er wollte so einen Sünder bei sich haben. Jemanden, der den Leuten nach Belieben das Geld aus der Tasche zieht. Dazu muss man wissen, dass die Zöllner als selbständigen Kleinunternehmer alles behalten konnten, was über das hinausging, was sie an die römische Verwaltung abtreten mussten. Deshalb wurden sie (ob zu Recht oder Unrecht) als Erpresser, moralisch fragwürdig und eher unbußfertig dargestellt.
Und es kommt noch besser: „Später war Jesus im Haus zum Essen.“ heißt es in unserem Text. „Viele Zolleinnehmer und andere Leute, die als Sünder galten, kamen dazu. Sie aßen mit Jesus und seinen Jüngern.“ An einem Tisch miteinander zu essen, das war damals was, das bedeutete „Auf Augenhöhe sein“.
Für die Pharisäer war das eine reine Provokation. Immerhin gingen sie nicht einfach wortlos weg, sondern fragen nach: »Warum isst euer Lehrer mit Zolleinnehmern und Sündern?«
Die Antwort von Jesus ist äußerst raffiniert. Er geht nicht auf die Provokation ein, sondern schlägt die Pharisäer mit ihren eigenen Waffen, indem er aus der Bibel zitiert, also aus den Texten, die die Pharisäer so äußerst genau befolgen wollten. Er sagt: »Nicht die Gesunden brauchen einen Arzt, sondern die Kranken. Überlegt doch einmal, was es bedeutet, wenn Gott sagt: - und jetzt kommt ein Zitat des Propheten Hosea - ›Barmherzigkeit will ich und keine Opfer!‹ Ich bin nicht gekommen, um die Gerechten zu rufen, sondern die Sünder.«
Genau genommen stellt sich Jesus also gar nicht gegen die Pharisäer. Er sagt „Überlegt doch mal, was das bedeutet“ – er ist auf ihrer Seite, indem er auf den Willen Gottes hört – Barmherzigkeit will ich und keine Opfer.
Er unterscheidet sich von den Pharisäern darin, dass er das gegen alle Konventionen und geltenden Ansichten in die Wirklichkeit umsetzt und sich eben mit diesen Menschen an einen Tisch setzt und einen der Zöllner in seinen engsten Kreis hineinholt.
Liebe Gemeinde, auf welcher Seite wären WIR denn in dieser Geschichte gewesen? Gesetze und Regeln und kulturelle Gepflogenheiten sind ja wichtig und gut – ohne sie ist ein gesellschaftliches Zusammenleben kaum möglich. Wären wir wirklich gleich auf der Seite Jesu gewesen und hätten mit allem gebrochen – vielleicht sogar mit dem, was die Pastorin oder der Pastor sagt? Diese Frage nehme ich aus der Geschichte für mich mit.
Nun ist es so, dass Jesus wie gesagt, die Pharisäer und ihre Gesetzestreue nicht verdammt. Er verändert die Maßstäbe! Er stellt die Liebe über alles, die Liebe, die alle Gesetze erfüllt. Steht die Liebe an Nummer eins, dann sind Gesetze, Regeln, Gepflogenheiten ihr untergeordnet und haben allenfalls eine helfende unterstützende Funktion.
Eine letzte Anmerkung zu der Frage der Pharisäer »Warum isst euer Lehrer mit Zolleinnehmern und Sündern?« Die Antwort steckt, denke ich, auch in dem Anfang unserer Geschichte:
Jesus sah einen Mann an seiner Zollstation sitzen. Er hieß Matthäus. Jesus sagte zu ihm: »Komm, folge mir!« Da stand er auf und folgte ihm.
Da hat sich jemand komplett aus seinem bisherigen Leben herausreißen lassen. Ohne eine Frage, ohne Wenn und Aber ist der Zöllner, der Sünder, aufgestanden und mitgekommen. Getroffen in der Tiefe seines Herzens.
Hätten das die Pharisäer auch gemacht? Hätten WIR das gemacht?
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christi Namen. Amen.
Dr. Johannes Neukirch, Predigt im Gottesdienst in Ahlem am 5. Februar 2022
Dr. Johannes Neukirch, Predigt im Gottesdienst in Ahlem am 5. Februar 2022