Predigttext Jesaja 40,1-11
1 »Tröstet, tröstet mein Volk!«,
spricht euer Gott.
2 Redet herzlich mit Jerusalem,
sagt über die Stadt:
»Ihre Leidenszeit ist zu Ende,
ihre Schuld ist restlos abgezahlt.
Denn für all ihre Vergehen
wurde sie vom HERRN doppelt bestraft.«
3 Eine Stimme ruft:
»Bahnt in der Wüste einen Weg für den HERRN!
Ebnet unserem Gott in der Steppe eine Straße!
4 Alle Täler sollen aufgefüllt werden,
Berge und Hügel abgetragen.
Das wellige Gelände soll eben werden
und das hügelige Land flach.
5 Der HERR wird in seiner Herrlichkeit erscheinen,
alle Menschen miteinander werden es sehen.
Denn der HERR selbst hat es gesagt.«
6 Eine Stimme spricht: »Verkünde!«
Ich fragte: »Was soll ich verkünden?
Alle Menschen sind doch wie Gras.
In ihrer ganzen Schönheit gleichen sie
den Blumen auf dem Feld.
7 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt,
wenn der Wind des HERRN darüberweht.
Nichts als Gras ist das Volk!«
8 »Ja, das Gras verdorrt, die Blume verwelkt,
aber das Wort unseres Gottes bleibt für alle Zeit.«
9 Steig auf einen hohen Berg,
du Freudenbotin für die Stadt Zion!
Verkünde deine Botschaft mit kraftvoller Stimme,
du Freudenbotin für Jerusalem!
Verkünde sie, hab keine Angst!
Sprich zu den Städten Judas:
»Seht, da kommt euer Gott!
10 Seht, Gott, der HERR!
Er kommt mit aller Macht
und herrscht mit starker Hand.
Seht, mit ihm kommt sein Volk!
Die er befreit hat, ziehen vor ihm her.
11 Wie ein Hirte weidet er seine Herde:
Die Lämmer nimmt er auf seinen Arm
und trägt sie an seiner Brust.
Die Muttertiere führt er sicher.«
Liebe Gemeinde,
das Jahr neigt sich dem Ende zu und wir fangen an zurückzublicken. Die Gesellschaft für deutsche Sprache machte das auch und hat wie jedes Jahr ein „Wort des Jahres“ gesucht. Sie hat sich für den Begriff "Zeitenwende" entschieden und ihn zum "Wort des Jahres" 2022 gekürt. „Der russische Überfall auf die Ukraine“, so hatte unser Bundeskanzler Ende Februar gesagt, „markiert eine Zeitenwende. Er bedroht unsere gesamte Nachkriegsordnung.“
„Das keineswegs neue Wort“, so teilt die Sprachgeselschaft mit, „das speziell für den Beginn der christlichen Zeitrechnung, in allgemeinerer Bedeutung auch für jeden beliebigen Übergang in eine neue Ära steht, wurde in diesem zweiten Sinne prominent von Bundeskanzler Olaf Scholz verwendet.“ Es markiere eine politische und emotionale Wende.
Wie kommt ein Wort zu dieser Ehre, „Wort des Jahres“ zu werden? „Die Sprachexperten“, so heißt es, „suchen nicht nach den am häufigsten verwendeten Ausdrücken, sondern nach Begriffen, "die die öffentliche Diskussion dominiert und ein Jahr wesentlich geprägt haben".
Ich bin ratlos im Blick auf diese Entscheidung. Der Krieg in der Ukraine mit all seinen Folgen ist schrecklich, so wie alle anderen Kriege auch. Aber wenn wir sagen, dass hier eine Zeitenwende stattfindet, dann ist doch die Frage, wer denn aktiv ist, wer da was wendet. Gott bestimmt nicht, der will Frieden. Wendet sich die Zeit von alleine? Ich denke, die läuft einfach weiter. Wendet das Schicksal etwas? Da sage ich nur: Ich will nicht an ein blindes Schicksal glauben müssen. Dann bleibt doch nur die russische Regierung. Bedeutet das dann, dass wir den Kriegsverantwortlichen die Möglichkeit einräumen, dass sie die Zeit wenden können? Das ist meiner Meinung nach viel zu viel der Ehre.
Immerhin weiß die Sprachgesellschaft noch, dass dieses Wort eigentlich für den Beginn der christlichen Zeitrechnung steht. Also für Weihnachten. Die Geburt des Sohnes Gottes hat in der Tat die Zeit gewendet. Seit dieser Zeit beginnt die Woche mit dem Sonntag, dem Tag der Auferstehung Jesu Christi. Auferstehung - ein einmaliges Ereignis in der Weltgeschichte.
Wir fügen hinzu: Es gab nicht nur diese Zeitenwende. Es wird auch noch einmal eine Zeitenwende kommen, und zwar dann, wenn Jesus Christus wiederkommt, wenn das Reich Gottes endgültig da ist, wenn es eine neue Welt geben wird – oder wie immer wir das ausdrücken möchten. Dann wird die Zeit in die Ewigkeit und in ein ewiges Leben verwandelt.
Zeitenwende – ich möchte diese Wort gerne dort lassen, wo es hingehört - bei Gott und seiner Herrschaft über die Weltgeschichte und die Zeit. Es darf nicht in die Hände von Menschen geraten. ER ist der Schöpfer und Vollender.
Ansonsten wird es schnell gefährlich. Menschen lassen sich verführen von scheinbaren Möglichkeiten und überschätzen sich oder schnappen über.
Leider geschieht das immer wieder auch in Äußerungen der Kirchen. Die Predigten des russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I. zeigen das beispielsweise, sie sind mehr oder weniger Kriegspropaganda. Den Soldaten wird eingeredet, dass sie den Willen Gottes tun und sie als Kämpfer Stellvertreter Christi und Teil der Heilsgeschichte seien. Sie sollen denken, dass sie für eine Zeitenwende kämpfen und dass wir in einer Endzeit leben. Leider gab es auch in Deutschland während der beiden Weltkriege solche hetzerischen Predigten. Hier haben Theologen die biblische Botschaft massiv verfälscht, Schlimmes angerichtet und Schuld auf sich geladen.
Zeitenwenden sind eine Angelegenheit Gottes allein. Ihr Kennzeichen ist gerade, dass sie für uns unverfübar sind. Es hat ja niemand damit gerechnet, dass sich Gott vor 2000 Jahren ausgerechnet in einem kleinen schwachen Kind zeigt. Und genau so überraschend wird es sein, wenn er wiederkommt. „Darum wachet! Denn ihr wisst weder Tag noch Stunde“ heißt es im Matthäusevangelium.
Was wir aber wissen, ist: Wir leben zwischen der ersten und der zweiten Zeitenwende. Und das prägt uns, das macht unser Leben aus.
Wie ist so ein Leben zwischen den Zeiten? Es ist wie seinerzeit bei Jesaja voller Hoffnung. Voller Hoffnung darauf, dass Täler aufgefüllt und Berge und Hügel abgetragen werden. Gott wird in seiner Herrlichkeit erscheinen, heißt es. Nicht Dikatoren, nicht Kriegstreiber, nicht Gewalttäter werden das letzte Wort haben. Die können zwar viel kaputt machen, aber sie können Gottes Erscheinen nicht aufhalten.Sie können die Zeit nicht wenden, sie bleibt in Gottes Hand.
Was ist unsere Aufgabe zwischen den Zeiten? Wir haben einen Auftrag, und zwar den Auftrag, die gute Botschaft zu verkündigen: „Sprich zu den Städten Judas“, so Jesaja, „Seht, da kommt euer Gott! Er kommt mit aller Macht und herrscht mit starker Hand.
Und dabei sollen wir uns in all unserem Tun Gott zum Vorbild nehmen: „Wie ein Hirte weidet er seine Herde: Die Lämmer nimmt er auf den Arm und trägt sie an seiner Brust., Die Muttertiere führt er sicher.“ Was für ein schönes Bild des Friedens und der Liebe.
Eine ganz besondere Aufgabe, liebe Gemeinde, steht schon am Anfang unseres Textes, sie ist wie eine Überschrift über allem: „„Tröstet, tröstet mein Volk“ spricht euer Gott.“
Ich habe mich für ein Prüfungsgespräch letzte Woche mit dem Thema Seelsorge bei Menschen, die an Demenz erkrankt sind, beschäftigt. Dabei habe ich ganz neu gelernt, was Trösten für eine Bedeutung hat. Getröstet zu werden ist ein sehr starkes spirituelles Bedürfnis von dementen Menschen. Denn es geht nicht über den Kopf, sondern ist das Signal: Ich wende mich dir zu, ich höre dir zu, egal was du sagst und auch wenn du es immer wieder sagst, ich bin bei dir, ich bin dir nahe, ich nehme dich in den Arm. Das alles hat eine große Wirkung. Es ist die Beziehung, die zählt. Die Lämmer nimmt er auf den Arm und trägt sie an seiner Brust. Zwischen den Zeiten sollen wir Gottes Liebe spüren und weitergeben.
Liebe Gemeinde,
meine Favoriten für die Worte bzw. Sätze des Jahres und aller zukünftigen Jahre sind:
tröstet, tröstet
verkündet die gute Botschaft mit kraftvoller Stimme
habt keine Angst
wie ein Hirte weidet er seine Herde und gibt uns Hoffnung in unsere Herzen.
meine Favoriten für die Worte bzw. Sätze des Jahres und aller zukünftigen Jahre sind:
tröstet, tröstet
verkündet die gute Botschaft mit kraftvoller Stimme
habt keine Angst
wie ein Hirte weidet er seine Herde und gibt uns Hoffnung in unsere Herzen.
Damit kommen wir weiter, dadurch werden wir selbst zu Botinnen und Boten seiner Liebe und können Hoffnung weitergeben.
Amen.
Dr. Johannes Neukirch, Predigt im Gottesdienst in Ahlem am 11. Dezember 2022