Johannes 6,37-40
37 Alle, die mein Vater mir anvertraut, werden zu mir kommen. Und wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen. 38 Denn dazu bin ich vom Himmel herabgekommen: Nicht um zu tun, was ich selbst will, sondern was der will, der mich beauftragt hat. 39 Und das ist der Wille dessen, der mich beauftragt hat: Ich soll keinen von denen verlieren, die er mir anvertraut hat. Vielmehr soll ich sie alle am letzten Tag vom Tod erwecken. 40 Denn das ist der Wille meines Vaters: Alle, die den Sohn sehen und an ihn glauben, werden das ewige Leben erhalten. Am letzten Tag werde ich sie vom Tod erwecken.«
Liebe Gemeinde,
in meinen Trauergesprächen stelle ich im Blick auf die Verstorbenen fast immer die Frage: „Konnten Sie mit ihm bzw. mit ihr über den Tod reden?“ Einige von Ihnen werden sich an die Frage erinnern … Und ziemlich oft bekomme ich die Antwort: „Nein, das war kein Thema, darüber haben wir nie gesprochen / das war tabu“.
Darüber staune ich immer wieder. Mir ist schon klar, dass Sterben und Tod keine schönen Themen sind. Aber wenn jemand merkt, dass es zu Ende geht, müsste er oder sie doch mal - wenigstens mit den engsten Angehörigen - darüber reden. Und besser noch auch schon lange davor.
Sind wir denn so sprachlos geworden bei einem der wichtigsten und ständig präsenten Themen? Niemand kann dem Tod entfliehen. Er trifft uns alle! Sicherlich – ich denke, dass sich alle oder fast alle Menschen, um die wir heute, am Totensonntag, trauern, in ihrem tiefsten Inneren mit Sterben und Tod auseinandergesetzt haben. Aber warum haben sie dieses Nachdenken nicht einmal mit dem Ehepartner oder der Ehepartnerin, mit den Kindern, mit Freundinnen und Freunden geteilt?
Ich spüre da eine Hilflosigkeit. Aber die Menschen, die pflegen, die sich sorgen, die zittern, die hoffen – die haben oft den Wunsch, darüber reden zu können, was denn das Sterben für den, der da im Sterben liegt, bedeutet. Oder haben sie selbst zu große Angst davor?
Miteinander reden ist wichtig. Wenn ein Mensch stirbt, den ich lieb habe, dann reißt das ganz tiefe Wunden. Ich brauche eine Zeit, um überhaupt zu begreifen, was denn passiert ist. Ich kann mit dem, mit dem ich meistens eine lange Zeit verbracht habe, nicht mehr reden, er oder sie antwortet nicht mehr. Das ist grausam. Die Begegnung mit dem Tod hinterlässt bei den Überlebenden Spuren, Wunden, Narben in der Seele. Wer das Sterben und den Tod eines nahen, eines geliebten Menschen mit erleiden musste, vergisst das nicht. Wir brauchen eine Zeit, bis wir wieder normal leben und das Leben wieder genießen können.
Deshalb ist es wichtig, schon vorher darüber zu reden, das ist ein Gegengift gegen Hilflosigkeit. Wie ist das mit dem Sterben, mit dem Tod, mit der Auferstehung von den Toten. Was sagt denn unsere Religion dazu, was glauben wir?
Ist es wirklich so schwer, mal die Passionszeit bewusst in den Gottesdiensten zu erleben? Den Karfreitag, an dem der Tod von Jesus Thema ist. Ostern, der Tag der Auferstehung von den Toten. Warum schieben das so viele Menschen weit weg von sich?
Es ist ja nicht schlimm, wenn wir unsicher sind, wie das alles werden wird und was nach dem Tod kommt. Wichtig ist doch, dass es Worte gibt, die uns dabei helfen, mit dem Tod umzugehen. Und diese Worte sollten wir schlicht und einfach benutzen – im Wortsinn benutzen, gebrauchen.
Wir brauchen Worte, Bilder, Texte, mit deren Hilfe wir über dieses Thema reden können. Und die stehen nun mal in unserer Bibel und in unserem Gesangbuch.
Wenn wir uns mal unseren Predigttext anschauen, dann sehen wir doch, dass Jesus es uns ganz einfach macht. Was er da vom Tod und von der Auferstehung sagt, ist überhaupt nicht kompliziert, es ist kein Rätsel, es tröstet uns.
„Alle, die mein Vater mir anvertraut, werden zu mir kommen. Und wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen“. Allein schon dieser Satz, der uns sagt: Wir erfahren, zu wem wir gehören und wohin es geht. Nicht ins Nichts, sondern zum himmlischen Vater. Woher wissen das? Was macht uns da so sicher?
Es ist uns in der Taufe zugesagt worden. Wenn Martin Luther verzweifelt war, dann hat er mit Kreide auf einen Tisch geschrieben: baptizatus sum. Ich bin getauft, ich bin ein Kind Gottes, niemand kann mich von ihm trennen.
Vom Willen Gottes sagt Jesus: „Ich soll keinen von denen verlieren, die er mir anvertraut hat. Vielmehr soll ich sie alle am letzten Tag vom Tod erwecken. Denn das ist der Wille meines Vaters: Alle, die den Sohn sehen und an ihn glauben, werden das ewige Leben erhalten. Am letzten Tag werde ich sie vom Tod erwecken.«
Das sind doch ganz wunderbare Worte: „Ich soll keinen von denen verlieren, die Gott, mein Vater, mir anvertraut hat“. Das ist warmherzig und liebevoll.
„Am letzten Tag werde ich sie vom Tod erwecken!“ - Gott sagt uns: Ja, Leid, Sterben, Tod sind unumgänglich. Aber es wird eine neue Welt kommen, ein Leben im Reich Gottes, in unmittelbarer Gemeinschaft mit Gott.
Einer der schönsten Stellen dazu steht in der Offenbarung des Johannes:
Eine Stimme war zu hören, die sprach: „Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht: Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiss!“
Liebe Gemeinde, diese Stimme, die da sprach, die müssen WIR am Leben erhalten. WIR können diese Worte sagen, vorlesen, zusprechen: Gott hat uns alle seinem Sohn Jesus Christus anvertraut. Bei ihm sind wir nicht verloren! Das ist doch eine gute Nachricht!
Und wir haben Lieder in unserem Gesangbuch, die das, was in der Bibel steht, noch mal mit anderen Worten sagen. Wer nicht singen kann, muss das Gesangbuch aufschlagen und sie eben laut sprechen: So wie dieses Lied, das wir gleich singen werden:
„Der Himmel, der kommt, das ist die Welt ohne Leid, wo Gewalttat und Elend besiegt sind. Der Himmel, der kommt, das ist die fröhliche Stadt und der Gott mit dem Antlitz des Menschen. Der Himmel, der kommt, grüßt schon die Erde, die ist, wenn die Liebe das Leben verändert.“
Wir können unsere Sprachlosigkeit beim Thema Tod überwinden! Haltet euch an den Worten und Bildern fest, die uns überliefert sind. Lasst sie nicht verlorengehen. Traut euch ran. Ich bin fest davon überzeugt, dass uns das allen gut tun wird. Amen.
Dr. Johannes Neukirch, Predigt im Gottesdienst in Ahlem am 20. November 2022 (Totensonntag)
Dr. Johannes Neukirch, Predigt im Gottesdienst in Ahlem am 20. November 2022 (Totensonntag)