„Maria! Los, aufstehen! Wir wollen doch zum Grab und Jesus salben!“ Maria öffnet die Augen. Gerade war sie eingeschlafen. Die ganze Nacht bis in den frühen Morgen hatte sie kein Auge zugemacht. Hatte sich hin und her gewälzt. Immer wieder sah sie Jesus am Kreuz. Hörte seine letzten Worte. Unfassbar. Unbegreiflich. Er war tot. Maria war dabei, als sie ihn vom Kreuz genommen haben. Als sie ihn behutsam in weiße Tücher gewickelt haben. „Ich komme“ rief sie und setzte sich langsam auf. Dann stand sie auf. Es war noch stockdunkel draußen.
„Besser wir gehen ganz früh, vor dem Sonnenaufgang. Dann sind die römischen Soldaten noch nicht wach!“ hatte Salome am Abend gesagt. Da war was dran. Überall waren römische Soldaten, besonders jetzt, weil die Römer Sorge hatten, dass es einen Aufstand geben könnte, weil Jesus gekreuzigt worden war. Er hatte ja so viele Anhänger! Einige sagten, er sei ein Wunderheiler. Er hatte sich zwar immer dagegen gewehrt. Aber die Menschen hatten trotzdem weitererzählt, dass Jesus den Gelähmten und viele andere geheilt hatte. Dass er Menschen einfach ihre Sünden vergeben hatte und sie befreit neu anfangen konnten in ihrem Leben.
Andere waren einfach begeistert von ihm, weil er wirklich was verändert hatte. Zum Beispiel die, die den Zöllner Zachäus kannten, die konnten das bestätigen – der war ja ein ganz anderer Mensch geworden nach seiner Begegnung mit Jesus! Er hatte tatsächlich allen, die er übers Ohr gehauen hatte, ihr Geld zurückgegeben und noch mehr!
Und viele waren tief beseelt von der Klugheit und dem Selbstbewusstsein von Jesus, mit dem er immer wieder den strengen, frommen Juden entgegengetreten war. Wie wunderbar hatte er seine Jünger verteidigt, als sie mal an einem Sabbat in einem Kornfeld Ähren geerntet hatten. „Der Sabbat ist für den Menschen gemacht und nicht der Mensch für den Sabbat!“ hatte er den Pharisäern geantwortet. Na also! Das hatte sich schnell herumgesprochen.
Maria, die andere Maria, rief Salome zu: „Komm, jetzt ist Maria da. Wir können los!“ „Habt ihr das Öl?“ fragte Salome. Ja, das hatten sie dabei. Sie machten sich auf den Weg. Dunkel und kalt war die Nacht. Der Mond warf sein weißes Licht auf den Weg. Gott sei Dank! So wussten sie, wo sie lang gehen mussten. Eine ganze Weile sprachen sie kein Wort. Es war ganz still. Nicht mal ein Hund bellte oder eine Maus huschte durch das Gebüsch. Fast flüsternd fragte Maria: “Wie kommen wir überhaupt ins Grab rein? Ihr habt doch den riesigen Stein vor dem Eingang in die Grabhöhle gesehen?!“ „Kommt Zeit, kommt Rat“, sagte die andere Maria. „Irgendwie wird es schon klappen. Die Römer haben doch sicher Wachen aufgestellt beim Grab! Vielleicht helfen uns die ja auch! Die sehen doch, dass wir Jesus nur salben wollen, dass wir ihm die letzte Ehre erweisen wollen“.
Die letzte Ehre erweisen – diese Worte klangen nach in Maria. Sie musste an ihren alten Nachbarn denken, und an ihre Großeltern, um die sie mitgetrauert hatte. Und an die kleine Tochter ihrer Freundin, die kurz nach der Geburt gestorben war. Und jetzt Jesus. Ihr Jesus. Wie schlimm die Welt ist, dachte sie. Wie Gott das nur zulassen konnte, welchen Sinn das haben mochte - sie konnte es nicht begreifen.
Im Haus in Jerusalem hatten sich die Männer versammelt. Einige klagten und weinten. Andere saßen nur stumm und regungslos da und versuchten, überhaupt zu begreifen, was geschehen war. Die Frauen, die bei ihnen waren, hatten Feuer gemacht und angefangen, Brot zu backen. Irgendwie musste es ja weitergehen. „Sind die beiden Marias und Salome schon losgegangen?“ fragte eine. „Ja, die sind auf dem Weg zum Grab“, meinte eine andere. „Ich habe gestern extra noch Salböl besorgt, das haben sie mitgenommen!“
Inzwischen war die Sonne aufgegangen und hatte den Himmel in wunderbare Farben getaucht. Die Frauen hatten die längste Wegstrecke hinter sich. „Da vorne hinter dem Hügel muss es ein!“ sagte Salome. Aber als sie den Hügel halb umrundet hatten, trauten sie ihren Augen nicht. Das Grab war offen??? „Das kann nicht das richtige Grab sein!“ dachte Maria im ersten Augenblick. Sie liefen schneller. „Wo sind denn die Wachen? Was ist hier passiert?“ rief Salome aufgeregt. Ohne zu zögern gingen sie in die Grabhöhle hinein. Da stand die Marmorbank, auf der Jesus gelegen hatte. Aber da lag er nicht. Stattdessen saß jemand an der rechten Seite - ein junger Mann mit einem ganz weißen Gewand. In demselben Moment, in dem sie ihn bemerkt hatten, schaute er sie direkt an und sagte: „Erschreckt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden. Er ist nicht hier. Seht, da ist die Stelle, wo man ihn hingelegt hatte. Nun aber geht und sagt seinen Jüngern, vor allem Petrus: er geht euch voraus nach Galiläa. Dort werdet ihr ihn sehen, wie er es euch gesagt hat!“
Von Panik ergriffen rannten die Frauen so schnell sie konnten, bloß weg vom Grab. Zuerst hatte es ihnen die Sprache verschlagen. Aber dann platzte es aus ihnen heraus: „Wer war das?“ „Begreift ihr nicht? Jesus ist lebendig!! Er ist nicht tot!!“ „Jesus war tot, das habe ich selbst gesehen!“ „Ja, aber Gott hat ihn auferweckt!! Du hast es doch gehört!“ „Das sollen wir unseren Männern sagen? Das glauben die uns niemals!“ „Nee, stimmt! Lasst uns erstmal abwarten und gar nichts sagen.“ Und so sagten sie zuerst niemandem etwas.
Aber natürlich konnten sie das nicht lange aushalten. Und wie sie vermutet hatten: die Männer glaubten ihnen nicht. Auch wenig später, als Jesus selbst der einen Maria erschienen war und sie ihnen begeistert davon erzählte, glaubten sie ihr nicht. Und als er in einer fremden Gestalt auch zwei von den Männern erschien, glaubten die anderen immer noch nicht, dass er auferstanden war. Erst, als er zu ihnen kam, als sie alle versammelt waren, da fiel es ihnen wie Schuppen von den Augen. Aber dann, so heißt es im Markusevangelium, Kapitel 16, Vers 20, zogen sie aus „und predigten überall. Der Herr stand ihnen bei und bekräftigte die Verkündigung durch Zeichen, die er geschehen ließ“.
Ja, liebe Gemeinde, so oder ähnlich kann sich Ostern ereignet haben – nach allem, was uns das Markusevangelium in wenigen, kurzen Sätzen überliefert. Fällt es uns genauso schwer wie den Jüngern damals, die Auferstehungsbotschaft zu glauben? Oder lassen wir uns mit hineinziehen in das, was die Frauen am Ostermorgen erlebt haben? Dann können wir mit ihnen jubeln! Denn dann erfahren wir mit ihnen:
Gewalt und Tod herrschen nur scheinbar in unserer Welt. Die Männer, die mit ihnen drohen, sind nichts als hohle Pappkameraden, sind nur Fratzen an der Wand, die uns in Wahrheit nichts anhaben können. Die keine Macht über uns haben. Denn wir gehören Jesus Christus, dem Auferstandenen. In ihm siegt das Leben, siegt Gott. Er wird auch uns retten aus den Höllen unserer Zeit, wie Christus im Buch der Offenbarung in Kapitel 1, Vers 18 selber sagt:
„Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.“
Der Herr ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden! Amen.
Dr. Johannes Neukirch, Predigt am Ostersonntag, 20. April 2025 in Ahlem