Predigt am 5. Sonntag nach Trinitatis, 9. Juli 2023, in Ahlem

Sun, 09 Jul 2023 17:14:25 +0000 von Martin-Luther-Kirchengemeinde Ahlem

Johannes 1,35-51

Die ersten Jünger 
35 Am nächsten Tag stand Johannes mit zwei seiner Jünger wieder dort. 
36 Als Jesus vorbeiging, schaute Johannes ihn an und sagte: »Seht doch! Das ist das Lamm Gottes!« 
37 Die beiden Jünger hörten diese Worte und folgten Jesus. 
38 Jesus drehte sich um und sah, dass sie ihm folgten. Da fragte er sie: »Was wollt ihr?« Sie antworteten: »Rabbi« – das heißt übersetzt »Lehrer« – »wo wohnst du?« 
39 Er forderte sie auf: »Kommt und seht selbst!« Da gingen sie mit und sahen, wo er wohnte. Sie blieben den ganzen Tag bei ihm. Das geschah etwa um die zehnte Stunde. 
40 Andreas war einer der beiden Jünger, die Johannes gehört hatten und Jesus gefolgt waren. Er war der Bruder von Simon Petrus. 
41 Andreas traf zuerst seinen Bruder Simon und sagte zu ihm: »Wir haben den Messias gefunden« – das heißt übersetzt »der Christus«. 
42 Er brachte Simon zu Jesus. Jesus sah ihn an und sagte: »Du bist Simon, der Sohn des Johannes. Dich wird man Kephas nennen« – das heißt übersetzt Petrus und bedeutet »Fels«. 

Philippus und Natanael 
43 Am nächsten Tag wollte Jesus nach Galiläa aufbrechen. Da traf er Philippus. Jesus sagt zu ihm: »Folge mir!« 
44 Philippus kam aus Betsaida, das ist die Stadt, aus der auch Andreas und Petrus stammten. 
45 Philippus sucht Natanael auf und sagt zu ihm: »Wir haben den gefunden, von dem Mose im Gesetz geschrieben hat und den die Propheten angekündigt haben. Es ist Jesus, der Sohn Josefs. Er kommt aus Nazaret.« 
46 Da fragte ihn Natanael: »Kann aus Nazaret etwas Gutes kommen?« Philippus antwortete: »Komm und sieh selbst!« 
47 Als Jesus Natanael zu sich kommen sah, sagte er über ihn: »Das ist ein wahrer Israelit: ein durch und durch aufrichtiger Mann!« 
48 Da fragte ihn Natanael: »Woher kennst du mich?« Jesus antwortete: »Noch bevor Philippus dich rief, habe ich dich unter dem Feigenbaum gesehen.« 
49 Natanael erwiderte: »Rabbi, du bist der Sohn Gottes. Du bist der König Israels!« 
50 Jesus antwortete: »Glaubst du das, weil ich dir sagte, dass ich dich unter dem Feigenbaum gesehen habe? Du wirst noch viel größere Dinge zu sehen bekommen!« 
51 Und er sagte zu ihm: »Amen, amen, das sage ich euch: Ihr werdet den Himmel offen sehen. Und die Engel Gottes werden vom Menschensohn zum Himmel hinaufsteigen und von dort wieder zu ihm herabsteigen!« 

Liebe Gemeinde,

in einer gotischen Kirche mit meterhohen bunten Glasfenstern zu stehen, ist schon ein besonderes Erlebnis! Die meisten Fenster sind ja im Laufe der Jahrhunderte zerstört worden. Aber es gibt noch grandiose Beispiele. Ich werde nie vergessen, wie ich in Paris in die Saint Chappelle kam und nur noch umgeben war von diesen unglaublichen, hohen Fenstern. Der Raum löst sich in farbiges Licht auf. Die Wände leuchten. Und das war ja die Absicht der Erbauer: unsere irdische Existenz geht über in einen mystischen himmlischen Farbraum. Ich sehe jetzt schon den Himmel – das wollten sie vermitteln. So wie es in unserem Text heißt: „Ihr werdet den Himmel offen sehen“. 

Ein klein wenig davon haben wir ja auch in unserer Kirche. Den schönen Fries aus Betonglas, den Heinz Lilienthal in seinem Atelier für kirchliche Kunst in Bremen-Lesum gestaltet hat. Auch diese Fenster haben eine mystische, geheimnisvolle Ausstrahlung.

Ob Saint Chappelle oder Martin-Luther-Kirche Ahlem – in jedem Fall gilt: die bunten Fenster wirken nur, wenn Licht durch sie hindurchkommt. Wenn es draußen dunkel ist oder einfach trübes Wetter, dann wirken sie wie eine Wand. Wir können hier drin so viel Licht machen, wie wir wollen – sie leuchten nur, wenn sie von außen beleuchtet werden. In manchen Gottesdiensten an dunklen Tagen oder am Abend haben einige aus unserer Gemeinde gedacht: Wenn wir jetzt eine Außenbeleuchtung hätten, die Licht durch das Betonglas schickt, das wäre toll! Vielleicht bekommen wir das ja mal hin – ich verspreche euch, dann ganz viele Abendgottesdienste zu halten!

Bunte Fenster müssen zum Leuchten gebracht werden!
Dieses Leuchten, dieses Durchscheinen, diese Transparenz sehe ich in unserem Text aus dem Johannesevangelium. 

Die Gespräche in diesem Text wirken allerdings hölzern, es wird keine durchlaufende Geschichte erzählt, es gibt keinen Spannungsbogen. Das Ganze wirkt irgendwie zusammengesetzt aus mehreren Teilen. Viele Fragen bleiben offen. Als die Jünger Jesus fragen „Wo wohnst du?“ sagt er „Kommt und seht selbst“. Mehr erfahren wir nicht, die Auflösung des Rätsels hätte mich aber schon interessiert.Das kommt gleich noch mal vor: Als Philippus Nathanael besucht und ihm erzählt, dass sie den gefunden haben, der als Retter und Heiland der Welt angekündigt worden ist, Jesus aus Nazaret – da antwortet Natanael spöttisch „Kann aus Nazaret etwas Gutes kommen?“ Philippus antwortet „Komm und sieh selbst.“

Ein wenig Aufklärung bringt der Anfang unseres Textes: Als Johannes mit zwei seiner Schüler an der Straße steht und Jesus vorbeigeht, sagt Johannes „Seht doch! Das ist das Lamm Gottes!“ Was Johannes mit dieser Bemerkung gemeint hat, wissen wir: Er vergleicht Jesus mit einem Opferlamm, das die Sünde wegnimmt, die zwischen Gott und den Menschen steht. Er nimmt also den Tod Jesu am Kreuz und seine Auferstehung vorweg. Er nimmt vorweg, dass wir durch Jesus zu Gottes Kindern werden.

Wieder ohne weitere Erklärung und übergangslos heißt es dann: „Die beiden Jünger hörten diese Worte und folgten Jesus.“

Wo soll da nun das von mir aben angekündigte Leuchten sein, das Durchscheinen, die Transparenz - fragen Sie sich vielleicht (zu Recht)?

„Kommt und seht selbst!“ lässt Johannes Jesus sagen. Ich verstehe das so: Durch Jesus scheint das Licht Gottes. Er strahlt, weil er transparent für Gottes Liebe ist. Gott selbst, das Licht, können wir nicht anschauen. Das wäre so, als wenn wir direkt in die Sonne schauen würden. In Jesus bekommen wir das Licht der Sonne wie durch wunderbare bunte Fenster. Im Johannesevangelium sind wir dabei, wenn er Wasser in Wein verwandelt, Kranke heilt, Blinde wieder sehen lässt, Lazarus vom Tod auferweckt. Er ist, so heißt es im Johannesevangelium, das Brot der Welt und das Licht der Welt. Er ist der gute Hirte. Er ist der Weg, auf dem die Menschen zu Gott kommen. Und er ist der wahre Weinstock – wer mit ihm verbunden bleibt, bleibt auch mit Gott verbunden.

„Kommt und seht selbst“ – die Menschen, die ihm damals begegnet sind, die müssen sich gefühlt haben, also ob sie plötzlich bei hellem Sonnenschein in der Saint Chapelle stehen oder unsere Glasfenster sehen und merken: Ja, in diesem Menschen leuchtet Gott. Dem folgen wir, auf den vertrauen wir. Endlich haben wir Gott gefunden! Und auch der skeptische Natanael sagt ja nach nur einem kurzen Wortwechsel: „Rabbi, du bist der Sohn Gottes!“

„Kommt und seht selbst“ – wir sehen die bunten Strahlen Gottes in seinem Wort. Wir sehen sie, wenn wir daran denken, dass er für uns gestorben und auferstanden ist. Wir sehen sie, wenn wir auf die Worte Jesu hören: Er sagt: „Ich gebe euch ein neues Gebot: Liebt einander! Genauso wie ich euch geliebt habe, sollt ihr einander lieb haben.“ Kommt und seht selbst – lasst das Licht Gottes durch euch hindurchscheinen und staunt über die bunten Strahlen der Liebe!

Amen.

Dr. Johannes Neukirch, Predigt am 5. Sonntag n. Trinitatis, 9. Juli 2023, in Ahlem
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