Predigt am 23. Sonntag nach Trinitatis, 3. November 2024

Mon, 04 Nov 2024 22:55:23 +0000 von Martin-Luther-Kirchengemeinde Ahlem

Predigttext: Römer 13,1-7 (Luther 2017)

13 1 Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, ist sie von Gott angeordnet.
2 Darum: Wer sich der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt Gottes Anordnung; die ihr aber widerstreben, werden ihr Urteil empfangen.
3 Denn die Gewalt haben, muss man nicht fürchten wegen guter, sondern wegen böser Werke. Willst du dich aber nicht fürchten vor der Obrigkeit, so tue Gutes, dann wirst du Lob von ihr erhalten.
4 Denn sie ist Gottes Dienerin, dir zugut. Tust du aber Böses, so fürchte dich; denn sie trägt das Schwert nicht umsonst. Sie ist Gottes Dienerin und vollzieht die Strafe an dem, der Böses tut.
5 Darum ist es notwendig, sich unterzuordnen, nicht allein um der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen.
6 Deshalb zahlt ihr ja auch Steuer; denn sie sind Gottes Diener, auf diesen Dienst beständig bedacht.
7 So gebt nun jedem, was ihr schuldig seid: Steuer, dem die Steuer gebührt; Zoll, dem der Zoll gebührt; Furcht, dem die Furcht gebührt; Ehre, dem die Ehre gebührt.

Liebe Gemeinde, 
eine Kollegin schrieb in der Evangelischen Zeitung: „Wenn man Predigttexte aus dem Scheinwerferlicht herausnehmen will, dann sind sie gut am 23. Sonntag nach Trinitatis platziert: Denn nur wenn Ostern vor dem 3. April liegt, gibt es diesen Sonntag. Diese Predigtnische von Römer 13 steht im umgekehrten Verhältnis zu der ungeheuren Wirkungsgeschichte: Mit Berufung auf die Sätze des Paulus hat Martin Luther die Niederschlagung der Bauern 1525 gerechtfertigt, konnte im protestantischen Preußen Gehorsam zur Staatsdoktrin werden, haben viele Christen zur Zeit des Nationalsozialismus nicht gewagt, Widerstand zu leisten. Und das, obwohl Jesus und Paulus selbst Opfer von staatlichem Unrecht wurden!“ In der Tat, Jesus wurde von den Römern ans Kreuz geschlagen. Paulus, Jude und römischer Bürger, wurde wahrscheinlich bei den ersten großen Christenverfolgungen ermordet. Hätte er seinen Text so geschrieben, wenn er das für möglich gehalten hätte? Wohl kaum.

Der Text steht nun aber mal im berühmten Brief des Paulus an die Römer und hat über die Jahrtausende immer wieder schlimme Auswirkungen gehabt. Heute hat schon das Wort „Obrigkeit“ hat einen negativen Beigeschmack, und der Satz „jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat“ lässt einen erschauern.

Lassen Sie uns genauer hinschauen:
Das Wort „Obrigkeit“ ist aus der Übersetzung Martin Luthers und klingt sehr allgemein, im Sinne von „alles, was über euch ist“. Praktisch alle Fachleute sind sich aber darin einig, dass Luther hier nicht ganz korrekt aus dem Griechischen übersetzt hat. Ich nehme mal die Übersetzung „Hoffnung für alle“: „Jeder soll sich den Behörden und Amtsträgern des Staates unterordnen.“ So oder so ähnlich übersetzen die anderen Bibelausgaben auch, und das trifft es: Es geht um die staatlichen Behörden, nicht um die Staatsgewalt insgesamt. 

Und hiermit sind wir mittendrin in der Zeit des Paulus und in Rom, dem Zentrum des römischen Reiches, das den gesamten Mittelmeerraum beherrschte. Als Paulus seinen Brief schrieb, war Kaiser Nero an der Macht. 

Nun muss man wissen, dass die römischen Kaiser kultisch verehrt wurden. Man brachte ihnen Opfer dar, teilweise wurde ihr Bildnis angebetet. Zur Zeit des Kaisers Nero war das besonders stark, er ließ sich wie ein Gott verehren.

Da liegen die Konflikte auf der Hand. Wie sollen sich Christinnen und Christen dem Kaiserkult gegenüber verhalten? Es fällt auf, wenn sie keine Opfer bringen. Es fällt auf, wenn sie ihren Gott anbeten und nicht den Kaiser und die römischen Götter, die dafür sorgen sollen, dass alles in bester Ordnung ist.

Sowohl Juden als auch Christen mussten also sehr vorsichtig sein. Den sie lehnten die Vergötterung von Menschen ab. „Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Göttern neben mir haben“ lautet das erste Gebot. 

Im Blick auf die Christen kam noch dazu: das Bekenntnis zum Christentum galt unter Nero als Kapitalverbrechen, weil sie mit Jesus Christus einen Mann verehrten, den die Römer als Rebell und Hochverräter hingerichtet hatten. Die Christen standen daher im Verdacht, selbst Hochverräter zu sein, und beteuerten genau aus diesem Grund stets ihre Loyalität gegenüber den Kaisern.

Trotzdem konnten Paulus und viele Christinnen und Christen unter diesen Bedingungen ihren Angelegenheiten nachgehen – so lange, bis es dann die ersten großen Christenverfolgungen gab. Meistens waren es sowieso Hausgemeinden, die nicht so sehr auffielen und die die öffentliche Ordnung nicht gestört haben. 

Unser Abschnitt aus dem Römerbrief steht damit in einem anderen Licht. Er meint keinen blinden Gehorsam gegenüber der Obrigkeit. Er half den christlichen Gemeinden, sich in Rom einzurichten, in einer Welt, in der es Gesetze gab und auf deren Behörden man sich verlassen konnte. Letzten Endes sagt der Text  vor allem, dass man Gutes tun und seine Steuern zahlen soll. Wer das nicht tut, muss die staatlichen Behörden fürchten.

Worauf es eigentlich ankommt, steht im direkt darauf folgenden Vers kurz und knapp: „Bleibt niemandem etwas schuldig, außer einander zu lieben.“

Niemals – niemals! – wäre es Paulus eingefallen, einen Menschen und damit staatliche Behörden, höher zu stellen als Gott. Erst recht nicht den als Gott verehrten Kaiser. Denn dann hätte er, wie gesagt, gegen das erste und wichtigste Gebot verstoßen, „Du sollst keine anderen Götter haben neben mir“. Trotzdem müssen, wie gesagt, die Christinnen und Christen, zumal in der Zentrale der römischen Macht, in Rom, mit ihrer Umwelt klarkommen. Das spielt in der Bibel auch sonst immer wieder mal eine Rolle:

In der Apostelgeschichte werden die Apostel angeklagt, allerdings in Jerusalem, nicht in Rom, es geht hin und her, bis Petrus sagt: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen!“ Und denken Sie  an das Evangelium, das wir vorhin gehört haben. Die Frage nach der Steuer, Jesus sagt: „So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“ Da ist klar, dass die so genannte Obrigkeit Zugriff nur auf die Steuern hat, aber nicht auf den Glauben!

Liebe Gemeinde,
auch wir müssen uns, wie die Christinnen und Christen in Rom, in unserer Umwelt einrichten. Dabei ist klar, dass wir das römische Kaisertum mit unserer Demokratie nicht vergleichen können. Wir haben das Glück, in einer Demokratie zu leben, wir sollen mitdenken und mitgestalten, durch Diskutieren und gutes Streiten unsere Gesellschaft zusammenhalten. Die Evangelische Kirche in Deutschland, die EKD, hat 1985 die so genannte Demokratiedenkschrift herausgebracht. „Evangelische Kirche und freiheitliche Demokratie“ – gerade heute sehr empfehlenswert.

Darin wird gesagt, dass wir uns als Christinnen und Christen nicht einfach aus allem heraushalten können. Es heißt in der Denkschrift: „Nach evangelischem Verständnis gehört die politische Existenz des Christen zu seinem weltlichen Beruf. Christliche Bürger sind deswegen hier nach ihrer Berufserfüllung gefragt. Im Beruf kommen nach evangelischem Verständnis seit Luther eine weltliche Aufgabe und die Verantwortung vor Gott zusammen. Der weltliche Beruf kann dem Christen nicht gleichgültig sein, weil er etwa mit seinem Glauben nichts zu tun hätte. Auch im weltlichen Beruf sind wir von Gott beansprucht.“

Damit schlagen wir eine Brücke zu unserem Predigttext. Paulus will ja letztlich die Römer beraten, wie sie ihren weltlichen Beruf ausüben können. Was genau politisch zu tun ist, ist von den äußeren Umständen und Bedingungen abhängig. 

Was unser Denken und Tun leitet, ist jedoch klar, wieder die Denkschrift: Auch im weltlichen Beruf sind wir von Gott beansprucht. Denn er ist ein Ort, an dem die Nächstenliebe geübt werden soll, die danach fragt, was dem Nächsten und der Gemeinschaft dient und nützt. Der Ruf zur Nächstenliebe fordert also sehr nüchtern auch die Bereitschaft zur Übernahme politischer Verantwortung. Im Gehorsam gegen Gottes Gebot und in der Feiheit des Glaubens soll der Christ im Beruf nicht nach dem besonderen Ansehen der Christen suchen, sondern sich bereitfinden, Verantwortung zu übernehmen, wo dies von ihm erwartet wird.“

Noch mal Paulus: „Bleibt niemandem etwas schuldig, außer einander zu lieben.“  
Amen

Dr. Johannes Neukirch, Predigt am 3.11.2024 in der Martin-Luther-Kirche Ahlem
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