Predigt am vorletzten Sonntag im Kirchenjahr, 19.11.2023

Sun, 19 Nov 2023 17:57:23 +0000 von Martin-Luther-Kirchengemeinde Ahlem

Matthäus 25,31-46

31 »Der Menschensohn wird wiederkommen in seiner Herrlichkeit mit allen Engeln. Dann wird er sich auf seinen Herrscherthron setzen.
32 Alle Völker werden vor dem Menschensohn versammelt. Er wird sie in zwei Gruppen aufteilen – wie ein Hirte, der die jungen Ziegenböcke von der Herde trennt.
33 Die Herde wird er rechts von sich aufstellen und die jungen Ziegenböcke links.
34 Dann wird der König zu denen rechts von sich sagen: ›Kommt her! Euch hat mein Vater gesegnet! Nehmt das Reich in Besitz, das Gott seit der Erschaffung der Welt für euch vorbereitet hat.
35 Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich war ein Fremder, und ihr habt mich als Gast aufgenommen. 
36 Ich war nackt, und ihr habt mir Kleider gegeben. Ich war krank, und ihr habt euch um mich gekümmert. Ich war im Gefängnis, und ihr habt mich besucht.‹
37 Dann werden die Gerechten fragen: ›Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben? Oder durstig und haben dir zu trinken gegeben?
38 Wann warst du ein Fremder und wir haben dich als Gast aufgenommen? Wann warst du nackt und wir haben dir Kleider gegeben?
39 Wann warst du krank oder im Gefängnis und wir haben dich besucht?‹
40 Und der König wird ihnen antworten: ›Amen, das sage ich euch: Was ihr für einen meiner Brüder oder eine meiner Schwestern getan habt – und wenn sie noch so unbedeutend sind –, das habt ihr für mich getan.‹ 
41 Dann wird er zu denen links von sich sagen: ›Geht weg von mir! Gott hat euch verflucht. Ihr gehört in das ewige Feuer, das für den Teufel und seine Engel vorbereitet ist.
42 Denn ich war hungrig, und ihr habt mir nichts zu essen gegeben. Ich war durstig, und ihr habt mir nichts zu trinken gegeben.
43 Ich war ein Fremder, und ihr habt mich nicht als Gast aufgenommen. Ich war nackt, und ihr habt mir keine Kleider gegeben. Ich war krank und im Gefängnis, und ihr habt euch nicht um mich gekümmert.‹
44 Dann werden auch sie antworten: ›Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig gesehen? Oder als Fremden oder nackt oder krank oder im Gefängnis? Wann haben wir nicht für dich gesorgt?‹
45 Da wird er ihnen antworten: ›Amen, das sage ich euch: Was ihr für andere nicht getan habt – und wenn sie noch so unbedeutend waren –, das habt ihr für mich nicht getan!‹
46 Auf diese Menschen wartet die ewige Strafe. Aber die Gerechten empfangen das ewige Leben.«

Liebe Gemeinde,

gegen Ende des Matthäusevangeliums, in den Kapiteln 24 und 25, finden wir Gleichnisse, die in der Basisbibel die Überschrift haben „Jesu Rede über die Endzeit“. Daraus ist unser Predigttext genommen, den ich eben gelesen habe. Mit dem Begriff „Endzeit“ können wir ja etwas anfangen. Schließlich haben sich Umweltaktivistinnen und -aktivisten den Namen „Die letzte Generation“ gegeben. Ich will jetzt nicht in die Diskussion um den Klimawandel einsteigen, aber dass die Lage ernst ist, wissen wir. Gleichzeitig wissen wir, dass die Vorräte an atomaren Waffen ausreichen, um die Welt zu zerstören. Es ist möglich, dass wir eine Art von  Ende der Welt selbst verursachen. Seit Menschengedenken trauern Menschen um diejenigen, die durch Krieg und Gewalt ums Leben gekommen sind. Bald nach dem 1. Weltkrieg wurde bei uns der Volkstrauertag eingeführt. Trotzdem geht das Sterben weiter.

Die Bibel versteht das Ende der Welt anders. Sie sagt: Da kommt noch was! Oder besser: da kommt noch wer! Gott bzw. sein Sohn Jesus Christus wird der Welt ein Ende setzen und danach wird ewiger Friede sein.

Vorher wird es ein Endgericht geben. „Alle Völker werden vor dem Menschensohn versammelt. Er wird sie in zwei Gruppen aufteilen – wie ein Hirte, der die jungen Ziegenböcke von der Herde trennt.“ heißt es in unserem Text.  Auf die einen wartet die ewige Strafe, auf die anderen das ewige Leben.

Das ist krass, wie die Jugendlichen sagen würden! Das muss uns doch einen ziemlichen Schrecken einjagen. Wo bleibt der Gott, der die Menschen liebt und retten wird? Wo bleiben die Vergebung und die Gnade? 

In der Tat, der Jesus auf dem Stuhl des Weltenrichters unterscheidet sich erheblich von dem Jesus, der uns sonst begegnet. Dass Jesus oft genug seine Zuhörerinnen und Zuhörer scharf kritisiert hat, wissen wir. Aber wir kennen auch den Jesus, der verzeiht, liebt und heilt, selbst da, wo Menschen versagt haben und schuldig geworden sind. Wie kann es sein, dass der Jesus, der sich immer den Leidenden und Ausgegrenzten voller Barmherzigkeit und Liebe zugewandt hat - dass dieser Jesus plötzlich so hart und gnadenlos urteilt? Was ist aus dem Jesus geworden, der Zöllner und Prostituierte zu sich rief? Was ist aus dem geworden, der durch Sündenvergebung Krankheiten heilte und sogar Petrus verzieh - der ihn verleugnet hat?

Bei Licht betrachtet ist diese Gerichtssituation trotz aller scheinbaren Klarheit doch sehr wirklichkeitsfremd?! Die scharfe Trennung aller Menschen in zwei Gruppen ist Schwarz-Weiß-Malerei?! Gibt es denn bei Jesus nur Gut und Böse, kein Grau, kein Dazwischen - keine Differenzierung?? In der Rede vom großen Weltgericht gehört Jede und Jeder entweder auf die eine Seite oder auf die Andere. 

Das zwingt uns geradezu, uns zu fragen: Wohin gehöre ich dann wohl? Zu den Schafen oder zu den Böcken, links oder rechts? Ich hätte nicht den Mut, mich nur zu den Schafen zu zählen. Aber ich wäre auch nicht so hoffnungslos, mich nur bei den Böcken zu sehen. Ja, vielleicht habe ich oft geholfen und mich stets bemüht - aber wie oft bin ich eben doch an Not und Elend vorbeigegangen, bewusst oder unbewusst. Wer eine ehrliche Bilanz der eigenen guten Taten zieht, aber auch eine Bilanz all dessen, was er oder sie eben nicht getan hat – der wird sich nicht in Selbstzufriedenheit auf die Schulter klopfen können. Aber was bedeutet es schon, sich auf die Schulter zu klopfen!?

Sollten wir nicht einfach um der Liebe willen anderen Menschen beistehen? Ich denke, das ist das entscheidende Kriterium im Gericht am Ende der Welt: ob wir rein um der Liebe willen gehandelt haben oder nicht. Denn in der Rede von Jesus war es denen, die geholfen haben, ja gar nicht bewusst, dass sie in den Notleidenden Jesus selbst vor sich hatten. Das haben sie erst in der Gerichtsverhandlung erfahren. Sie haben es einfach getan, haben Kleider für Geflüchtete gesammelt, Menschen besucht, die einsam sind, Kranke begleitet und ihnen beigestanden, den Kontakt zu Gefangenen gehalten. Sie haben sich nichts davon erhofft und auf keine Belohnung dafür gewartet. 

Ich denke, dass Matthäus darin das Ziel dieser Gerichtsrede sieht. Rein um der Liebe willen, rein aus Liebe zu handeln – darum geht es! Ohne Absicht, ohne Abwägen, ohne Gewinn. 

Noch einmal mit den Worten von Jesus: ›Amen, das sage ich euch: Was ihr für einen meiner Brüder oder eine meiner Schwestern getan habt – und wenn sie noch so unbedeutend sind –, das habt ihr für mich getan.‹ 

Das ist das Gute, das Jesus uns zutraut: Wir können das - rein aus Liebe, aus Menschlichkeit handeln! Es ist nicht zu spät! 

Wo uns die Liebe fehlt, da sind wir hier bei Jesus direkt an der Quelle. Denn er hat diese Liebe an uns getan! 

So macht uns die Rede vom Weltgericht nicht nur klar, worauf es eigentlich im Kern ankommt. Sie treibt uns zugleich in die Arme Christi, bei dem wir Vergebung und immer wieder einen neuen Anfang erhoffen dürfen. Auf dem Richterstuhl sitzt der, der Sünden vergeben hat und Schuldigen eine neue Zukunft und Handeln aus Liebe ermöglicht. Darauf können wir vertrauen.

Von Zweifeln ist mein Leben übermannt,
- singen wir gleich -
mein Unvermögen hält mich ganz gefangen.
Hast du mit Namen mich in deine Hand,
in dein Erbarmen fest mich eingeschrieben?
Nimmst du mich auf in dein gelobtes Land?
Werd ich dich noch mit neuen Augen sehen?
 
Sprich du das Wort, das tröstet und befreit
und das mich führt in deinen großen Frieden.
Schließ auf das Land, das keine Grenzen kennt,
und lass mich unter deinen Kindern leben.
Sei du mein täglich Brot, so wahr du lebst.
Du bist mein Atem, wenn ich zu dir bete.

Amen. 

Dr. Johannes Neukirch, Predigt in Ahlem am 19. November 2023
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