Predigt am 18. Sonntag nach Trinitatis, 8. Oktober 2023

Sun, 08 Oct 2023 17:37:43 +0000 von Martin-Luther-Kirchengemeinde Ahlem

Predigttext: Exodus 20, 1-17

Liebe Gemeinde,

285 Wörter, 1395 Zeichen – mehr ist das nicht, was wir vorhin in der Lesung gehört haben, unser Predigttext. In der Fassung, in der Sie diesen Text, die zehn Gebote, wahrscheinlich alle mal im Konfirmandenunterricht gelernt haben, in der Fassung von Martin Luther sind es sogar nur noch 86 Worte. Und doch sind diese wenigen Gebote einer der wichtigsten Grundlagen für das menschliche Zusammenleben – und für das Leben mit Gott. 

Zum Vergleich: Die Unabhängigkeitserklärung der 13 nordamerikanischen Staaten Im Jahr 1776 ist 300 Wörter lang. Die EU-Verordnung über den Import von Karamell-Bonbons hat 25.911 Wörter .... 

Als Helmut Schmidt einmal gefragt wurde, was er der heranwachsenden Jugend empfehlen würde, hat er geantwortet: "Die Zehn Gebote." Und er ergänzte: "Wem das nicht langt, die Verordnung der Freien und Hansestadt Hamburg."

Der Politiker Günther Beckstein hat in seinem Ruhestand ein ganzes Buch über die Zehn Gebote geschrieben. "Ich bin überzeugt, dass die Zehn Gebote eine wunderbare Ordnung der Welt sind.", bekennt er. Er wolle mit seinem Buch "bewusst machen, dass alle Entscheidungen sich an den Zehn Geboten messen lassen müssen."

Normalerweise hören wir ja nicht gerne hin, wenn es heißt „Du sollst....“ Wenn wir  aber die Nachrichten einschalten, können wir geradezu eine Sehnsucht nach der Einhaltung der Gebote bekommen! Wenn sich die Machthaber, Soldaten, Terroristen,  Gewalttäter nur an das fünfte Gebot hielten, bliebe der Welt vieles erspart. Und wir alle hoffen und beten, dass es der Menschheit zukünftig gelingen wird, endlich die Gewalt zu überwinden und respektvoll mit dem Leben aller – der Menschen, der Tiere und der Natur - umzugehen.

Du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht falsch Zeugnis reden gegen deinen Nächsten, du sollst nicht begehren, was anderen Menschen gehört - auch wenn diese Gebote täglich übertreten werden, wird kaum jemand daran zweifeln, dass sie sinnvoll sind, dass sie das menschliche Miteinander überhaupt erst möglich machen. 

Bei den Geboten „Du sollst keine anderen Götter haben neben mir“ oder dem Gebot, dass man den Feiertag heiligen soll, oder dem „Du sollst nicht ehebrechen“, sieht das schon anders aus, das dürfte bei vielen unter „ferner liefen“ rangieren oder ganz rausfallen. 

Wie ist das nun: Können wir sagen – an das fünfte und siebte halten wir uns, die anderen sind nicht so wichtig? Das erste verstehe ich nicht und das sechste ist veraltet? Ist es möglich, sozusagen über die zehn Gebote mit Gott zu verhandeln?  

Ich vermute, dass viele so denken, und es liegt ja auch nahe. Das kommt dann in die Schublade: „Im Alten Testament steht sowieso eine Menge, was nicht mehr zeitgemäß ist“. Das ist zwar richtig, aber bei den Zehn Geboten geht es um wesentlich mehr. Das sind nicht beliebige Gesetze, die veralten können und geändert werden müssen. Die Zehn Gebote regeln nicht nur, sondern stellen uns  in eine Beziehung mit Gott.  

Unser Text fängt ja mit der Erinnerung an, dass Gott das Volk Israel aus der ägyptischen Sklaverei gerettet hat. Dass Gott einen Bund mit den Menschen geschlossen hat: sie würden sein heiliges Volk sein, wenn sie die Zehn Gebote halten. Damit würden sie ihren Anteil am Bund mit Gott erfüllen. 

Die alles entscheidende Frage, „warum soll ich die Zehn Gebote befolgen?“ ist aus der Sicht des Volkes Israel also eindeutig beantwortet: Weil Gott uns befreit hat, weil Gott mit uns einen Bund geschlossen hat. Das ist die Grundlage der Gebote und aller Gesetze, die daraus entstanden sind.

Wie ist das im Neuen Testament, im Neuen Bund, den Gott mit uns durch seinen Sohn Jesus Christus, geschlossen hat? Wie verstehen wir als Christinnen und Christen die Zehn Gebote und warum sollen wir sie befolgen? Wie Jesus zu den Geboten steht, ist tatsächlich eine der wichtigsten Fragen, die im Neuen Testament behandelt werden. Immer wieder wird Jesus auf die Probe gestellt und will man von ihm wissen, wie er es mit den Geboten und dem Gesetz hält, wie er zum Bund steht, den Gott mit dem Volk Israel geschlossen hat.

Bei Markus wird überliefert, wie einer der Schriftgelehrten Jesus fragt: „Welches ist das höchste Gebot von allen? Jesus aber antwortete ihm: Das höchste Gebot ist das: „Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften. Das andere ist dies: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“. Es ist kein anderes Gebot größer als diese.“ (Mk 12, 28ff.).

Damit bringt Jesus die Zehn Gebote auf den Punkt. Sie hängen sozusagen in zwei Scharnieren: du sollst Gott lieben, und: du sollt deinen Nächsten lieben. Dies sind die Dreh- und Angelpunkte, aus denen alles andere folgt. 

Martin Luther hat das im Kleinen Katechismus schön zum Ausdruck gebracht: In seinen Erklärungen zu den Geboten, schreibt er immer zuerst, vor den eigentlichen Ausführungen: „Wir sollen Gott über alle Dinge fürchten und lieben...“. 

Das „fürchten“ meint dabei nicht „Angst haben“. Denn jemanden, vor dem man Angst hat, kann man schwer lieben. Gott „fürchten“  meint so viel wie: „den größtmöglichen Respekt vor Gott haben.“

Beim fünften Gebot heißt es also: „Du sollst nicht töten. Was ist das? Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß / ich kann auch sagen: damit / wir unserm Nächsten an seinem Leibe keinen Schaden noch Leid tun, sondern ihm helfen und beistehen in allen Nöten“

Oder beim achten Gebot: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden  wider deinen Nächsten. Was ist das? 

Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass / damit wir unsern Nächsten nicht belügen, verraten, verleumden oder seinen Ruf  verderben, sondern sollen ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum besten kehren.“

Das eine geht nicht ohne das andere. Wenn wir uns für unseren Nächsten einsetzen, brauchen wir die Rückbindung an die Liebe zu Gott. 

285 Wörter, 1395 Zeichen

Und wir merken im Alltag: Gott fürchten und lieben und seine Gebote halten ist nichts, was man so einfach nachmachen kann. 

Denken wir noch einmal an das Volk Israel. Mose soll dem Volk im Namen Gottes sagen: „Ihr habt gesehen,.. wie ich euch getragen habe auf Adlerflügeln und euch zu mir gebracht habe. Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein.“ Den Geboten geht eine mächtige Liebestat Gottes voraus. 

Jesus führt diese Liebe in einzigartiger Weise weiter. Als Jesus einen gelähmten Mann geheilt hat, ging der fröhlich auf eigenen Füßen nachhause und erzählte allen, die ihm begegneten, davon. Er war befreit von den Fesseln seiner Krankheit und von den Fesseln seiner Schuld. Als Jesus bei Zachäus einkehrte, war der so berührt und bewegt, dass er allen, die er betrogen hatte, das vierfache zurückgab und mit den Armen seinen Besitz teilte. Er war befreit von den Fesseln seiner Habgier. Als Paulus auf dem Weg nach Damaskus vom Pferd stürzt und die Stimme Jesu hört: Saul, Saul, warum verfolgst du mich?, da war er befreit von seinem Hass auf die Christen und auf Christus und von seinem Unglauben. 

An diesen Befreiungsgeschichten haben wir Anteil. Die bewegen wir in unseren Herzen; die schenken uns Liebe zu Gott, die machen uns fähig, Gott zu fürchten und zu lieben. Bevor wir irgendetwas getan haben, ist er da. Voller Liebe und Hingabe für uns. Darum beten wir; die schmecken wir im Abendmahl. Dann machen wir uns auf und kümmern uns um unseren Nächsten.

In der Tiefe unserer Seele spüren wir: Gott zu lieben und seinen Nächsten wie sich selbst – das ist ein Geschenk Gottes, das Jesus Christus im Heiligen Geist bewirkt. 

Amen.

Dr. Johannes Neukirch, Predigt in Ahlem am 18. Sonntag nach Trinitatis, 8. Oktober 2023.
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