Predigt im Gottesdienst zum Erdüberlastungstag, 28. April 2024

Wed, 08 May 2024 18:05:34 +0000 von Martin-Luther-Kirchengemeinde Ahlem

Liebe Gemeinde,

wie gut es doch tut, diese Statements zu hören! Wir bekommen jeden Tag so viel zu hören und zu sehen. Wie gehen Sie damit um, wie geht ihr damit um? Können wir das überhaupt noch verarbeiten - diese ganzen Szenarien? 

Wie gut es doch tut, diese Statements, diese ganz und gar authentischen Stimmen zu hören -  - ach ja, denen geht es wie mir - ja, genau so ist das. Niemand wurde laut und wollte uns Lösungen aufdrängen, wohltuend! Niemand hat unsere Schuldgefühle getriggert - wohltuend! 

Wie gut es doch tut, offen und öffentlich darüber zu sprechen, was mir Angst macht und was mir Hoffnung gibt. Nicht bei einer Versammlung, nicht in einer Talkshow, sondern in einer  Kirche, in einem Raum, der schon so viele Seufzer gehört hat. Und in Gemeinschaft. Wie sagte Linda: „Und Sie - alle Menschen, die hier vor mir in den Bänken sitzen, - einfach, weil sie heute hier sind, machen mir Hoffnung.“

Denn es geht hier um die gesamte Bandbreite unserer Gefühle, wir klammern nichts aus. Es geht um Angst, Sorgen, Hoffnungslosigkeit genau so wie um die großen Hoffnungen, dass sich doch noch alles zum Guten wendet. Wir sind in der Regel - oder oft - irgendwo dazwischen. Auch das macht uns zu schaffen. Wir müssen mit Ambivalenzen umgehen, mit Zwiespältigkeiten, Spannungszuständen, mit der Zerrissenheit von Gefühlen und Bestrebungen. Wie sagte Martina: „Vergeblich, nicht vergeblich - muss ja.“ Und Harald: „Ja, es gibt offene Fragen, aber packen wir es an.“

Das Tun ist das Eine. Aber wir brauchen auch einen Raum für solche und weitere Geschichten - neudeutsch für Narrative -, die uns stützen und unterstützen. Geschichten, an denen wir uns aufrichten können. Sie lösen die Zwiespältigkeiten nicht einfach auf, aber sie können orientieren. Es geht auch überhaupt nicht um die Schalter Wahr/Unwahr, Richtig/Falsch, Glauben/Unglaube. Es geht darum, mit dem Zweifel und mit Unsicherheiten zu leben ohne zu resignieren -  zu leben und trotzdem den nächsten Schritt zu tun.

„Raum für solche und weitere Geschichten habe ich gesagt - Sie müssen erst gar keine Wetten abschließen, mit welcher Geschichte jetzt der Pastor um die Ecke kommt - richtig, mit der Schöpfungsgeschichte, dem biblischen Schöpfungsmythos  besser gesagt. 

Ja, ich weiß, es gibt Stimmen, die diesen für einen der Verursacher der Misere halten, wegen des Satzes: „Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht.“ Dazu gehört aber die Gottebenbildlichkeit des Menschen: „Und Gott schuf  den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn.“ Die meint nicht, dass der Mensch aussieht wie Gott, sondern dass dem Menschen die Aufgabe übertragen wird, die Schöpfung zu verwalten. Im Auftrag Gottes versteht sich, also im Sinne der Lebenserhaltung im weitesten Sinn -  zum Wohl aller Menschen und Tiere und Pflanzen und in Liebe. Es kann keinen Zweifel geben, dass die biblische Schöpfungsgeschichte den Menschen in die Verantwortung  für das Leben ruft. 

Dazu passt ein weiterer Satz aus dem biblischen Schöpfungsmythos: „Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte“ - bebauen UND bewahren steht da!

1983 hat der Ökumenische Rat der Kirchen, eine weltweite Gemeinschaft von christlichen Kirchen aus 120 Ländern, bei seiner Vollversammlung in Vancouver zu einem konziliaren Prozess, also zu einem gemeinsamen Lernweg, aufgerufen:  Ich meine den Prozess für „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“. Diese Formulierung ist bis heute wirksam, unzählige Texte und Initiativen beziehen sich darauf.  

Eine Station des konziliaren Prozesses war die Oekumenische Weltversammlung von Seoul 1990, die das Glaubensbekenntnis fomuliert hat, das wir vorhin gesprochen haben.  „Ich glaube nicht“, hieß es darin, „dass Gott die Zerstörung der Erde gewollt hat.“  - „Ich glaube“ so geht es weiter, „dass Gott für die Welt eine Ordnung will, / die auf Gerechtigkeit und Liebe gründet, / und dass alle Männer und Frauen / gleichberechtigte Menschen sind.“

In Seoul wurden auch zehn Grundüberzeugungen formuliert, in einer heißt es:

„Wir bekräftigen, dass Gott die Schöpfung liebt. Gott, der Schöpfer, ist der Ursprung und der Erhalter des ganzen Kosmos. Da die Schöpfung von Gott ist und seine Güte die ganze Schöpfung durchdringt, sollen wir alles Leben heilig halten […] Wir bekräftigen, dass die Welt als Gottes Werk eine eigene Ganzheit besitzt und dass Land, Wasser, Luft, Wälder, Berge und alle Geschöpfe, einschließlich der Menschen, in Gottes Augen ‚gut‘ sind“ Und: „Wir verpflichten uns außerdem, den ökologisch notwendigen Lebensraum anderer Lebewesen zu achten.“

Liebe Gemeinde!

Es tut gut, solche Statements zu hören wie wir sie gehört haben, es tut gut, die Gemeinschaft zu spüren. Es motiviert uns immer neu, zu wissen, dass wir von Gott in die Verantwortung gestellt sind, die Erde zu bewahren. 

Und erst recht tut es gut, so möchte ich weiterführen, bei all unserem Tun zu wissen, dass wir nicht verloren sind. Dass wir nicht vergeblich hoffen. 

Es ist nicht so lange her, dass wir Karfreitag und Ostern begangen haben. Scheitern und neue Hoffnung liegen darin nebeneinander und ineinander. Deshalb gehören Karfreitag und Ostern in die Reihe der Geschichten, die unser Tun und Handeln bestimmen.

Jesus ist gekreuzigt worden. Und er hat am Kreuz offenbart, dass er sich von Gott verlassen fühlt. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ rief er und trifft damit bis heute immer wieder unsere Gefühlslage. Er steht für alles Leid, für alle Schmerzen, für alle Zweifel, denen wir nicht aus dem Weg gehen können.

Gott der Schöpfer, der den Menschen in die Eigenverantwortlichkeit gestellt hat, dieser Gott holt Jesus ins Leben zurück und bestätigt ihn als seinen Sohn. Er demonstriert in Jesus Christus, dass er die Menschheit nicht verloren gibt. „Ich lebe und ihr sollt auch leben“ - so sagte Jesus einmal und so steht es auf unserer Osterkerze. Diese symbolisiert, dass Jesus das Licht des Lebens ist. Und in unserem Glaubensbekenntnis hieß es „Ich glaube an Gottes Verheißung / eines neuen Himmels und einer neuen Erde, / wo Gerechtigkeit und Frieden sich küssen.“

Scheitern und neue Hoffnung fassen - aus diesem Duo kommen wir zu Lebzeiten nicht heraus. Aber die Hoffnung auf den auferstandenen und lebendigen Jesus Christus trägt uns und gibt uns Kraft, das zu tun, was wir tun können. In Verantwortung vor Gott und in Liebe zu unseren Mitmenschen und zur Natur.

Wie sagte Linda: Martin Luther soll gesagt haben: „Und wenn morgen die Welt unterginge, so würde ich noch heute mein Apfelbäumchen pflanzen.“ Dieser Satz macht mir sehr viel Mut.  Pflanzen Sie Bäume, so oft sich eine Gelegenheit dazu bietet.“

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

 Dr. Johannes Neukirch, Predigt im Gottesdienst zum Erdüberlastungstag, 28.4.2024, Hannover-Ahlem
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