Predigt aus dem Gottesdienst am 6. März 2022, Sonntag Invocavit

Mon, 07 Mar 2022 12:04:36 +0000 von Martin-Luther-Kirchengemeinde Ahlem

Dr. Johannes Neukirch, Gottesdienst am 6.3.2022 in Ahlem
Predigttext: 2. Korinther 6,1-10
 
6 1 Wir als Gottes Mitarbeiter bitten euch auch:
Nehmt die Gnade Gottes so an,
dass sie nicht ohne Wirkung bleibt.
2 Denn Gott spricht:
»Ich habe dich zur rechten Zeit erhört
und dir am Tag der Rettung geholfen.«
Seht doch! Jetzt ist die rechte Zeit.
Seht doch! Jetzt ist der Tag der Rettung.
3 Wir wollen auf gar keinen Fall Anstoß erregen.
Denn unser Dienst soll nicht in Verruf geraten.
4 Vielmehr beweisen wir in jeder Lage,
dass wir Gottes Diener sind:
Mit großer Standhaftigkeit
ertragen wir Leid, Not und Verzweiflung.
5 Man schlägt uns, wirft uns ins Gefängnis
und hetzt die Leute gegen uns auf.
Wir arbeiten bis zur Erschöpfung,
wir schlafen nicht und essen nicht.
6 Zu unserem Dienst gehören
ein einwandfreier Lebenswandel,
Erkenntnis, Geduld und Güte,
der Heilige Geist und aufrichtige Liebe.
7 Zu unserem Dienst gehören außerdem
die Wahrheit unserer Verkündigung
und die Kraft, die von Gott kommt.
Wir kämpfen mit den Waffen der Gerechtigkeit,
in der rechten und in der linken Hand.
8 Wir erfüllen unseren Auftrag,
ob wir dadurch Ehre gewinnen oder Schande,
ob wir verleumdet werden oder gelobt.
Wir gelten als Betrüger und sagen doch die Wahrheit.
9 Wir werden verkannt und sind doch anerkannt.
Wir sind vom Tod bedroht, und seht doch: Wir leben!
Wir werden ausgepeitscht und kommen doch nicht um.
10 Wir geraten in Trauer und bleiben doch fröhlich.
Wir sind arm und machen doch viele reich.
Wir haben nichts und besitzen doch alles!
(Übersetzung: BasisBibel)
 
Liebe Gemeinde,

vorletzte Woche auf dem Ahlemer Friedhof: Die Trauergesellschaft kommt aus der Kapelle. Jetzt müssen wir zum Grab gehen, das ist ein schwerer Gang. Wenigstens scheint die Sonne nach etlichen Tagen, an denen es grau und regnerisch war. Vorne geht der Bestatter mit der Urne, dahinter ich, dann die Trauergesellschaft. Auf dem Weg sehe ich rechter Hand auf der Wiese einen sonnenbeschienenen großen Blütenteppich, leuchtend blaue Krokusse. In diesem Moment fühlte ich mich wie in eine andere Wirklichkeit versetzt. Endlich Sonne, endlich Blüten, Licht, neues Leben, die Natur wacht auf, es geht weiter. 

Ich überlege kurz, was ich machen soll. Vor mir die Urne, neben mir dieser herrliche Anblick. Hinter mir die Trauernden. Kurz entschlossen bleibe ich einen Moment stehen, drehe mich um und zeige auf den Blütenteppich. Ich sehe in nickende, lächelnde Gesichter. Sie haben verstanden, was ich ihnen mit dieser Geste sagen wollte.

An diese kleine Szene musste ich denken, als ich unseren Predigttext gelesen habe. Die Erfahrungen, die sich überlagern. Die Wirklichkeit des Todes und die Hoffnung auf neues Leben.

In unserem Text schildert Paulus eindrücklich, was er alles aushalten muss:  Leid, Not und Verzweiflung. Man schlägt uns, schreibt er, wirft uns ins Gefängnis und hetzt die Leute gegen uns auf. Wir arbeiten bis zur Erschöpfung, wir schlafen nicht und essen nicht.“

Gleichzeitig macht er auch andere Erfahrungen: „Wir werden verkannt und sind doch anerkannt. Wir sind vom Tod bedroht, und seht doch: Wir leben! Wir werden ausgepeitscht und kommen doch nicht um. 10 Wir geraten in Trauer und bleiben  doch fröhlich. Wir sind arm und machen doch viele reich. Wir haben nichts und besitzen doch alles!“

Können wir etwas von Paulus lernen? Wie schafft er es, seinen Kopf über Wasser zu halten? Wie kann er angesichts seiner Erfahrungen den Blütenteppich auf der sonnenbeschienenen Wiese sehen? Wie kann er mitten in diesen schlimmen Erfahrungen Gott entdecken?

Sicherlich – Paulus gibt uns einige Hinweise. Er versteht sich als Diener Gottes, er spricht von großer Standhaftigkeit und einwandfreiem Lebenswandel, von Geduld, Güte, aufrichtiger Liebe, vom Kampf mit den Waffen der Gerechtigkeit. Aber er sagt auch ganz klar, dass das nur möglich ist, weil der Heilige Geist und die Kraft Gottes in ihm wirken. Das alles ist nicht sein Verdienst.

Später schreibt er in demselben Brief sogar, dass er geradezu stolz auf seine Schwäche ist, weil sich dann an ihm die Kraft Gottes zeigen kann: „Der Herr hat zu mir gesagt“, so Paulus, „Du braucht nicht mehr als meine Gnade. Denn meine Kraft kommt gerade in der Schwäche voll zur Geltung.“

Liebe Gemeinde, in diesen Tagen wird besonders deutlich, dass wir in einer unerlösten Welt leben, in der Menschen leiden. Nicht nur aktuell in der Ukraine. Genau so in Syrien, in Afghanistan, im Irak, in Ländern, in denen Menschen hungern. In den Flutgebieten in Australien. In den Krankenstationen bei uns. Wir verfolgen die Nachrichten und kommen kaum gegen eine um sich greifende Angst an. Wir können kaum noch ein rettendes Ufer erkennen.  

Gerade in dieser Situation können und sollen wir uns daran erinnern, dass Gott in seinem Sohn Jesus Christus auf unsere menschliche Not eingeht, sich in unser Elend begibt. „Nehmt die Gnade Gottes so an, dass sie nicht ohne Wirkung bleibt.“ heißt es am Anfang unseres Textes. „Denn Gott spricht: »Ich habe dich zur rechten Zeit erhört und dir am Tag der Rettung geholfen.« Seht doch!, schreibt Paulus weiter, Jetzt ist die rechte Zeit. Seht doch! Jetzt ist der Tag der Rettung.“ Die Gnade Gottes, das ist  die liebevolle Zuwendung Gottes, die er den Menschen ohne Vorbedingung schenkt.

Allerdings: Die Wirklichkeit, wie wir sie sehen und die Wirklichkeit der liebevollen Zuwendung Gottes zu den Menschen – das ist oft ein krasser Widerspruch. So wie es ein Widerspruch ist, wenn Paulus bekennt, dass Gottes Kraft gerade in der Schwäche zur Geltung kommt. Oder wie sein Satz „Wir haben nichts und besitzen doch alles!“

Wir können diese Widersprüchlichkeit nicht auflösen. Wir blenden auch nichts aus. Wir können nur im Gebet zu Gott flüchten und darauf vertrauen, dass er sich gerade in unserer Schwachheit zeigt. Das ist ja das Thema der Passionszeit.

Wenn wir beten, wenn wir Bitten und Klagen vor Gott bringen, dann erinnern wir Gott an das, was er uns zugesagt hat. Martin Luther hat einmal gesagt, dass es sogar gilt „widder Gott zu Gott dringen und ruffen“. Wenn wir Gott in unserer Situation nicht wiedererkennen, dann sollen wir nach seiner Güte, Treue und Barmherzigkeit rufen und ihn ermahnen, dass er sich als der zeigt, der in seinem Sohn für die Menschen eingetreten ist. 

Unser Glaube ist, so gesehen, in einer ständigen Bewegung. Wir machen Erfahrungen mit dem Glauben. Und oft steht eine Erfahrung gegen eine andere. Der Glaube ist keine Schönfärberei, sondern ein Ringen darum, wie wir die Wirklichkeit sehen. Das sehen wir in vielen Psalmen und Liedern. Wenn wir gleich singen: „Jesu, meine Freude“ dann heißt es im nächsten Satz „Ach, wie lang, ach lange, ist dem Herzen bange“.

Wie schön hat da übrigens das Motto des Weltgebetstages gepasst, den wir am Freitag gefeiert haben: „Zukunftsplan: Hoffnung!“ In dem Heft dazu heißt es: „Selten haben so viele Menschen mit Verunsicherung und Angst in die Zukunft geblickt. Als Christinnen und Christen glauben wir an die Rettung der Welt, nicht an ihren Untergang! Der Bibeltext Jeremia 29,14 des diesjährigen Weltgebetstages ist ganz klar: Ich werde euer Schicksal zum Guten wenden ....“

Noch mal Paulus: Wir geraten in Trauer und bleiben doch fröhlich. Wir sind arm und machen doch viele reich. Wir haben nichts und besitzen doch alles!“ 

Ich wünsche uns, dass wir so einen Blick auf die Wirklichkeit erfahren dürfen. Amen.
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