Predigt aus dem Gottesdienst am 13. Februar 2022

Sun, 13 Feb 2022 20:04:36 +0000 von Martin-Luther-Kirchengemeinde Ahlem

Dr. Johannes Neukirch, Gottesdienst am 13.2.2022 in Ahlem
Predigttext: Jeremia 9,22-23

22 So spricht der HERR:
Der Weise sei nicht stolz auf seine Weisheit.
Der Starke sei nicht stolz auf seine Stärke
und der Reiche nicht auf seinen Reichtum!
23 Wer sich rühmen will, soll sich nur deswegen rühmen:
dass er wirklich klug ist und mich kennt.
Dass er weiß, dass ich der HERR bin,
der auf Erden Güte, Recht und Gerechtigkeit schafft.
Denn diese machen mir Freude.
– So lautet der Ausspruch des HERRN.
 
Liebe Gemeinde,
„wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn“ (1. Kor. 1,31), das ist die Kurzform unseres Textes, vielleicht kennen Sie diesen Satz aus den Briefen des Paulus an die Gemeinde in Korinth, da kommt er öfters vor. Paulus schreibt das als Zitat des Propheten Jeremia, also als Zitat unseres Predigttextes. Anstelle des etwas altertümlich klingenden Wortes „rühmen“, übersetzt die Basisbibel die Korintherstelle mit: »Wer auf etwas stolz sein will, soll auf den Herrn stolz sein.«
 
Gut, das macht den Text etwas anschaulicher. Trotzdem habe ich die Verse hin- und hergewälzt und mich gefragt, was er mir sagen will. Das ist doch nichts Schlechtes, auf etwas stolz zu sein. Ganz im Gegenteil. Für die persönliche Entwicklung ist es wichtig, auf etwas stolz sein zu können. Das hebt das Selbstwertgefühl und das Selbstbewusstsein. Gerade für Kinder und Jugendliche ist das Gefühl, etwas richtig gemacht zu haben, etwas zu können, weiter zu kommen ganz entscheidend. Und für Erwachsene auch. Und dann bin ich in Gedanken Menschen in unserer Gemeinde durchgegangen, die ich etwas näher kenne, und habe festgestellt: Es gibt niemanden, von dem ich sagen könnte, dass er oder sie sich selbst übermäßig rühmen würde. Klar ist mal jemand stolz auf etwas und sagt das auch, aber das ist gut so und das tue ich ja genau so. 
 
Zur Zeit sehen wir ja täglich die Jubelbilder der Olympischen Spiele. Die Sportlerinnen und Sportler sind selbstverständlich mächtig stolz, wenn sie ganz vorne landen, erst recht wenn sie eine Medaille umgehängt bekommen. Gilt hier nun „Der Starke sei nicht stolz auf seine Stärke“? Ich weiß nicht, denn in den meisten Fällen ist da auch das Bewusstsein zu spüren, dass sie das nicht alleine hinbekommen haben. In den Interviews danken die Siegerinnen und Sieger doch meistens den Trainern, den Freundinnen, den Unterstützern, der Familie, die sie trägt, dem Menschen, der die Skier gewachst hat und so weiter und so fort. Gleichzeitig sind sie stolz auf sich selbst – zu Recht. 
 
Gibt es einen Punkt, an dem das Rühmen, das Stolz-Sein ins Negative kippt? An dem wir sagen würde: das ist zu viel, da wird es problematisch, da wird die Wirklichkeit verdreht?
 
Der Weise sei nicht stolz auf seine Weisheit.
Der Starke sei nicht stolz auf seine Stärke
und der Reiche nicht auf seinen Reichtum!
 
Ich denke, das Rühmen kippt, wenn jemand sagt: Ich habe alles meiner selbst erlernten Weisheit zu verdanken, ich habe alles meiner selbst antrainierten Stärke zu verdanken, ich habe doch jeden Pfennig selbst verdient, ich brauche niemanden sonst.
 
Martin Luther hat das mal so auf den Punkt gebracht. Er bezeichnet den Menschen als homo in se incurvatus – als einen in sich verdrehten, in sich eingeschlossenen Menschen. 
 
Solche Gedanken - ich habe alles mir selbst zu verdanken - sind erst einmal schlicht falsch. Wir sind alle voneinander abhängig und auf Gemeinschaft angewiesen. Und auch wer nicht an den Schöpfer alles Lebens glaubt, muss anerkennen, dass er nicht sich selbst gemacht hat, sondern sein Leben seinen Eltern verdankt. 
 
Solche Gedanken verhärten außerdem das Herz. Wenn ich mich nur um mich selbst drehe, grenze ich mich ab. Ich grenze mich ab gegen alle, die nicht so klug sind wie ich, gegen alle, die schwach sind, gegen alle, die es halt nicht geschafft haben, so viel Geld anzuhäufen. 
 
Und solche Gedanken können Menschen in ganz tiefe Krisen führen. Was ist denn, wenn ich mal nicht mehr oben auf bin? Wenn die Stärke zur Schwachheit wird, wenn der Reichtum weg ist, wenn andere klüger sind. Wer hält mich dann, wer baut mich dann auf, wer sagt mir „du bist wertvoll“?
 
Wie kommen wir da aus dieser Verdrehung raus?
 
Haben Sie am Donnerstag in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung auf der letzten Seite das Foto des Astronauten Matthias Maurer gesehen? Er ist seit drei Monaten in der internationalen Raumstation ISS. Das Bild zeigt ihn in der Aussichtskuppel der Raumstation mit einem atemberaubenden Blick auf die Erde. Von da oben sieht er, heißt es „die Dinge aus einer ganz neuen Perspektive“. 
 
Und erinnern sie sich an die Weihnachtsansprache unseres Bundespräsidenten? Er hat gegen Ende an die erste Umkreisung des Mondes durch Apollo 8 im Jahre 1968 erinnert. Ich zitiere Frank-Walter Steinmeier: „Da oben im All, in diesem Moment des größten menschlichen Fortschritts, gerade da wurde unsere kleine, verwundbare Erde sichtbar wie nie zuvor. Von ihr hatte all der Fortschritt seinen Anfang genommen – und auf ihr leben wir alle, mit unseren Sorgen und Hoffnungen, mit unserem Leid und unserem Glück. Damals“ – so Steinmeier weiter – „lasen die drei Astronauten von Apollo 8 den Anfang der biblischen Schöpfungsgeschichte vor, und sie beschlossen ihre weihnachtliche Botschaft mit den Worten: "Gott segne euch alle auf der guten Erde."
 
Ich finde es bemerkenswert, dass die Astronauten, die ja nun auf ihre Leistung mächtig stolz sein können, aus dem All einen jahrtausende alten religiösen Text vortragen, der daran erinnert, dass wir das alles nicht uns selbst verdanken sondern dem Schöpfer. Eine Form von Demut – aber muss man dazu erst mal ins All fliegen?
 
Und ich finde es bemerkenswert, dass unser Bundespräsident die Erinnerung an dieses Ereignis an den Schluss seiner Ansprache am Ende des turbulenten Krisenjahres 2021 setzt. An diesem Punkt weist er dezent darauf hin, dass wir eine Orientierung brauchen, die außerhalb unserer selbst ist. Es reicht nicht zu sagen, ich bin klug, ich bin stark, ich bin reich – wenn wir das überhaupt sagen können, dann hält uns das vielleicht eine Weile oben. Aber die großen Fragen der Menschheit – wo komme ich her und wo gehe ich hin – finden damit keine zufriedenstellende Antwort.
 
„Wer sich rühmen will,“, sagt der Prophet Jeremia, soll sich nur deswegen rühmen: dass er wirklich klug ist und mich kennt. Dass er weiß, dass ich der HERR bin, der auf Erden Güte, Recht und Gerechtigkeit schafft. Denn diese machen mir Freude. – So lautet der Ausspruch des HERRN.“
 
Ich denke, wir können unseren Text als eine Aufforderung lesen, die Perspektive zu wechseln. Denke immer daran, wem Du Dein Leben verdankst. Denke immer daran, dass Du auf Güte, Recht und Gerechtigkeit angewiesen bist. Ja, Du darfst Dich klug, stark und reich fühlen. Aber nicht auf Kosten anderer und auch nicht auf Kosten deiner eigenen Person.
 
Der Text sagt: Mach das einfach mal anders. Rühme, lobe, preise den Herrn, schau auf deinen Gott, freue dich, dass er für dich da ist. Das ändert deine Einstellung, das holt dich aus deiner Verdrehung heraus und öffnet dich, es kann dein Leben verändern. Es gibt dir einen Bezugspunkt außerhalb deiner selbst.
 
Jörg Zink hat den Vers „Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn“ so übertragen: «Wer etwas Gutes an sich entdeckt, soll sagen: Ich habe es nicht von mir, der Herr hat es mir gegeben.» Ich denke, das kann sehr heilsam sein! Amen
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