Predigt am Drittletzten Sonntag im Kirchenjahr - 10.11.2024

Sun, 10 Nov 2024 21:56:09 +0000 von Martin-Luther-Kirchengemeinde Ahlem

Gottesdienst zum Auftakt der Friedensdekade: Micha 4,1-5
Der Berg Zion als Ort des Friedens für die Völker

4 1 Am Ende der Tage wird es geschehen:
 Der Berg mit dem Haus des HERRN steht felsenfest.
 Er ist der höchste Berg und überragt alle Hügel.
 Dann werden die Völker zu ihm strömen.

2 Viele Völker machen sich auf den Weg und sagen:
 »Auf, lasst uns hinaufziehen zum Berg des HERRN,
 zum Haus, in dem der Gott Jakobs wohnt!
 Er soll uns seine Wege weisen.
 Dann können wir seinen Pfaden folgen.«
 Denn vom Berg Zion kommt Weisung.
 Das Wort des HERRN geht von Jerusalem aus.

3 Er schlichtet Streit zwischen vielen Völkern.
 Er sorgt für das Recht unter mächtigen Staaten,
 bis hin in die fernsten Länder.
 Dann werden sie Pflugscharen schmieden
 aus den Klingen ihrer Schwerter. („Schwerter zu Pflugscharen machen“ heißt es in der Lutherübersetzung)
 Und sie werden Winzermesser herstellen
 aus den Eisenspitzen ihrer Lanzen.
 Dann wird es kein einziges Volk mehr geben,
 das sein Schwert gegen ein anderes richtet.
 Niemand wird mehr für den Krieg ausgebildet.

4 Jeder wird unter seinem Weinstock sitzen
 und unter seinem Feigenbaum.
 Niemand wird ihren Frieden stören.
 Denn der HERR Zebaot hat es so bestimmt.

5 Noch rufen viele Völker, jedes zu seinem eigenen Gott.
 Wir aber leben schon heute im Namen des HERRN,
 unseres Gottes, für immer und alle Zeit.

Liebe Gemeinde,

Auf die Frage, wo denn seine große Vision sei, soll der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt gesagt haben: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“ 

„Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“ –müssen wir also den Propheten Micha zum Arzt schicken? Und mit ihm viele andere Propheten, die Friedensvisionen haben, Vorstellungen davon, wie alle Menschen inklusive der Tiere ohne Krieg, ohne Terroranschläge, ohne Gewalt, ohne Streit, ohne Futterneid, ohne Macho-Getue, ohne egoistisches Beiseite-Schieben zusammenleben…..

Wir tun es, wir schicken Micha zum Arzt. Ich stelle mir vor, er säße dann in einer Therapiegruppe zum Beispiel neben dem Propheten Jesaja. Ich lade Sie ein, kurz in eine  Sitzung der himmlischen Therapiegruppe hineinzuhören!

Micha erzählt gerade stolz, welch großartigen Erfolge seine Vision hatte. Noch zweitausendachthundert Jahre danach hat es in der DDR Aufnäher gegeben mit dem Aufdruck „Schwerter zu Pflugscharen. Micha 4,3“. 200 000 Aufnäher hat alleine die Druckerei der Brüdergemeine in Herrnhut hergestellt. Mutige Menschen haben sie auf ihre Jacken und Revers genäht.

Jesaja sagt daraufhin: ja, ja, Micha, ist ja gut, das mit den Schwertern habe ich auch schon gesagt. Aber kennst du eigentlich meine Vision mit den Tieren? Die wird sogar bei den Christen immer wieder in der Weihnachtszeit gelesen. Du weißt schon, Weihnachten, wenn der Messias Geburtstag hat. 

Micha schaut ihn mit großen Augen an: Was willst du mit Tieren? Pass auf, antwortet Jesaja, so sieht eine ordentliche Friedensvision aus: (Jes 11,1-6)

„Da wird der Wolf beim Lamm wohnen und der Panther beim Böcklein lagern. Kalb und Löwe werden miteinander grasen, und ein kleiner Knabe wird sie leiten.
 7 Kuh und Bärin werden zusammen weiden, ihre Jungen beieinanderliegen, und der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind.
 8 Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein kleines Kind wird seine Hand ausstrecken zur Höhle der Natter.
 9 Man wird weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berge; denn das Land ist voll Erkenntnis des HERRN, wie Wasser das Meer bedeckt.“

Micha nickt anerkennend. Das hast du wirklich schön gesagt! Aber sag mal, warum sitzen wir hier in einer Therapiegruppe? Waren unsere Visionen nur leeres Gerede, haben wir im Fieberwahn gesprochen oder irgendwelche Drogen genommen?

Na ja, sagt Jesaja, schau dich um. Krieg und Gewalt haben nicht aufgehört, ganz im Gegenteil. Es ist im Laufe der Zeit immer schlimmer geworden.

Hör dir doch an, was Kenana gesagt hat. Sie will nichts anderes, als mit ihren Kindern in Frieden leben, sie hat niemandem etwas getan und musste doch vor den Bomben und dem Hunger fliehen.

Hör dir doch an, was Suse erzählt hat. Seit Jahrzehnten erzählt sie unermüdlich vom Frieden, gibt unsere Visionen weiter, betet für den Frieden. Aber sie den großen Durchbruch zum weltweiten Frieden noch nicht erlebt.

Hör dir doch an, was Harald erzählt, es ist eigentlich gar nicht so schwer, sich auf den Weg des Friedens zu begeben. Die Politik müsste das Miteinander fördern, die Gemeinschaft. Ich weiß nicht, warum das für viele so mühsam ist ...

Ok, antwortet Micha, aber das alles sind doch gute Beispiele dafür, dass unsere Visionen vom Frieden nicht nur bitter nötig sind, sondern immer noch wirken. Kenana, Suse und Harald und die vielen Gruppen und Initiativen, von denen sie berichten, wirken. Sie bewegen und verändern Menschen. Sie bringen Licht in das Dunkel. Sie alle sagen doch, was wir auch sagen:

Wir müssen Gott und seinen Schalom, seinen umfassenden Frieden, über alles stellen., über die Selbstsucht der Menschen. „Er soll uns seine Wege weisen. Dann können wir seinen Pfaden folgen.“ 

Ja, so Micha weiter,  ich weiß, aber es ist nicht einfach, das umzusetzen. Ich habe mal in die Friedensdenkschrift der EKD reingeschaut. Die haben eine schöne Formel geprägt: Die Lehre vom „gerechten Frieden“, die an die Stelle der Lehre vom „gerechten Krieg“ treten soll.  Schau mal rein, da stehen gute Gedanken. 

Und stell dir vor, die Menschen, die das geschrieben haben, berufen sich ausdrücklich auf uns, ja, auf uns! Sie haben - etwas umständlich - geschrieben:  "Der prophetischen Überlieferung verdankt die Christenheit die Vision einer friedensstiftenden, Konflikte schlichtenden Weisung Gottes, die die Bereithaltung von Waffen überflüssig macht und neue Wege des Zusammenlebens der Völker eröffnet.“ 

Diese Schrift beweist doch, dass unsere Visionen sinnvoll sind und dass man aus unseren Visionen ganz konkrete Schritte entwickeln kann: zum Beispiel, so steht es da, den Primat der Politik vor dem Militärischen, die Gestaltung der vernünftigen Weltfriedensordnung als einer internationalen Rechtsordnung oder den Primat der Prävention vor der Intervention.

Ich meine, das hat ja lang genug gedauert, bis sie darauf gekommen sind, aber wie ich schon seinerzeit zwischen den Zeilen gesagt habe: Wir können Frieden lernen! 

„Ich hoffe mit dir, mein lieber Micha“, sagt Jesaja, "ich hoffe ...."

Liebe Gemeinde, von wegen „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“ Es muss umgekehrt heißen: „Wer keine Visionen mehr hat, sollte zum Arzt gehen“. Mit den Friedensvisionen in den Köpfen und Herzen stecken wir unsere Köpfe gerade nicht in den Sand, sondern heben sie auf und schauen auf Gott und auf die Völker, die friedlich zum Berg Zion wallfahren. Mit den Friedensvisionen in den Köpfen und Herzen handeln wir in Liebe und mit Hoffnung. 

Gebt sie weiter! Erzählt davon! Gebt sie als Zeichen der Hoffnung an eure Feinde, Freunde, Nachbarn und Kinder weiter.

Freunde, dass der Mandelzweig
sich in Blüten wiegt,
bleibe uns ein Fingerzeig,
wie das Leben siegt.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, Amen.

Dr. Johannes Neukirch, Predigt am 10.11.2024 in der Martin-Luther-Kirche Ahlem
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