Predigt aus dem Gottesdienst am Sonntag Reminiszere, 13. März 2022

Sun, 13 Mar 2022 16:43:18 +0000 von Martin-Luther-Kirchengemeinde Ahlem

Dr. Johannes Neukirch, Gottesdienst am 13.3.2022 in Ahlem 
Predigttext: Matthäus 26,36-46 

Jesus betet im Garten Getsemani
36 Dann kam Jesus mit seinen Jüngern zu einem Garten, der Getsemani hieß.
Dort sagte er zu seinen Jüngern: »Bleibt hier sitzen.
Ich gehe dort hinüber und bete.«
37 Er nahm Petrus und die beiden Söhne des Zebedäus mit.
Plötzlich wurde er sehr traurig,
und Angst überfiel ihn.
38 Da sagte er zu ihnen:
»Ich bin verzweifelt und voller Todesangst.
Wartet hier und wacht mit mir.«
39 Jesus selbst ging noch ein paar Schritte weiter.
Dort warf er sich zu Boden und betete:
»Mein Vater, wenn es möglich ist,
dann erspare es mir, diesen Becher auszutrinken!
Aber nicht das, was ich will, soll geschehen –
sondern das, was du willst!«
40 Jesus kam zu den drei Jüngern zurück und sah,
dass sie eingeschlafen waren.
Da sagte er zu Petrus:
»Könnt ihr nicht diese eine Stunde
mit mir wach bleiben?
41 Bleibt wach und betet,
damit ihr die kommende Prüfung besteht!
Der Geist ist willig,
aber die menschliche Natur ist schwach.«
42 Dann ging er ein zweites Mal einige Schritte weg
und betete:
»Mein Vater, wenn es nicht anders möglich ist,
dann trinke ich diesen Becher.
Es soll geschehen, was du willst.«
43 Als er zurückkam, sah er,
dass seine Jünger wieder eingeschlafen waren.
Die Augen waren ihnen zugefallen.
44 Jesus ließ sie schlafen.
Wieder ging er weg und betete ein drittes Mal
mit den gleichen Worten wie vorher.
45 Dann ging er zu den Jüngern zurück
und sagte zu ihnen:
»Schlaft ihr immer noch und ruht euch aus?
Seht: Die Stunde ist da!
Jetzt wird der Menschensohn
in die Hände der Sünder ausgeliefert.
46 Steht auf, wir wollen gehen.
Seht: Der mich verrät, ist schon da!«
 
Liebe Gemeinde,
die Basisbibel hat immer so schöne kurze Definitionen. Zu dem Wort „Jünger“ steht dort: „Jünger: Wörtlich »Schüler«. Frauen und Männer, die ihrem Lehrer folgten und von ihm lernten.“
 
Wenn wir in den Evangelien, also in den Berichten von Matthäus, Markus, Lukas und Johannes über das Leben Jesu, lesen oder in Gottesdiensten die Texte hören, dann sind wir ja den Jüngerinnen und Jünger Jesu ganz nahe. Es sind Menschen wie du und ich, mit Stärken und Schwächen. Wir lernen mit ihnen, wir gehen mit ihnen mit.
 
Die Geschichte der Jüngerinnen und Jünger beginnt mit ihrer Berufung. Jesus zieht durchs Land und sucht sich Begleiter. Er fragt sie nicht aus, lässt sich keinen Lebenslauf vorlegen, sondern sagt den ersten beiden, Simon Petrus und Andreas, ganz einfach: „Kommt, folgt mir nach“. Da spüren wir schon, welche Macht und welche Anspruch Jesus hat. Denn die beiden und viele nach ihnen, verlassen alles und folgen ihm nach. Und wer das liest oder hört fragt sich doch: hätte ich das auch getan? Hätte ich meinen Beruf, alle Freunde, mein ganzes bisheriges Leben einfach aufgegeben und wäre diesem Wanderprediger hinterhergegangen? Und was bedeutet es heute für mich, Jesus nachzufolgen?
 
Die es getan haben, hören die Predigten Jesu, sie erleben, wie Jesus Wasser in Wein verwandelt, Menschen heilt, Tote ins Leben zurückholt, böse Geister austreibt,  Stürme stillt und viele weitere Zeichen tut. Sie bekommen die ganzen Diskussionen und Auseinandersetzungen mit, die er mit den Pharisäern und Schriftgelehrten hat. Sie sind ganz nahe bei ihm, leben mit ihm. 
 
Es ist übrigens nicht zu erkennen, dass sie sich besonders klug anstellen würden oder einen großen Glauben hätten. Aber das ist auch eine Frage der Darstellung. Matthäus charakterisiert die Jüngerinnen und Jünger so, dass wir uns mit ihnen identifizieren können. Sie stellen Fragen, Jesus antwortet. Sie zweifeln an ihm, so dass er sie mehrmals mit „Oh ihr Kleingläubigen“ anredet. Das dürfte auch auf uns zutreffen.
 
Trotzdem ist klar, dass sie ein ganz besonderes enges Verhältnis zu Jesus hatten.
Und nun, als es ernst wird, so hörten wir in unserem Predigttext, fallen sie in einen tiefen Schlaf! Meine Güte, hätten wir da nicht ein wenig mehr erwartet??
Jesus steht vor den schwersten Stunden seines Lebens. Mächtige Leute wollen ihn umbringen. Er spürt das. Er hat furchtbare Angst! Er sucht Trost bei seinen Gefährten und sagt zu ihnen. »Ich bin verzweifelt und voller Todesangst. Wartet hier und wacht mit mir.«
 
Dann geht er ein paar Schritte weiter, wirft sich zu Boden und betet: »Mein Vater, wenn es möglich ist, dann erspare es mir, diesen Becher auszutrinken!“ Der Becher ist ein Bild für das Gericht Gottes, das Menschen wie Betrunkene wanken lässt. Jesus sagt also mit anderen Worten: Vater, erspare es mir, wie ein Verbrecher hingerichtet zu werden, am Kreuz zu sterben. Und er betet weiter: „Aber nicht das, was ich will, soll geschehen – sondern das, was du willst!«
 
Als Jesus zurückkommt, schlafen die Jünger. „Könnt ihr nicht diese eine Stunde mit mir wach bleiben?“ fragt er sie verzweifelt. Er geht wieder ein paar Schritte, betet, kommt zurück, die Jünger schlafen. Und dasselbe noch mal. 
 
Was ist da nur los?? Wie konnten seine treuesten Gefährten, die jahrelang mit ihm zusammen waren, die so viel gesehen und gehört hatten, derart versagen? 
 
Ich glaube, sie waren einfach komplett überfordert. Jesus, ihr Lehrmeister, Sohn Gottes - plötzlich verzweifelt und voller Todesangst. Wo ist denn sein ganzes Können, die Wunder, die klugen Worte, die Macht über die Naturgewalten?
 
Ich denke, sie waren ähnlich überfordert, wie wir das sind – jedenfalls geht es mir so -  wenn wir uns bewusst machen, was da gerade in der Ukraine passiert. Und in Syrien, und im Jemen und in Äthiopien und an vielen weiteren Orten bis hinein ins Ahrtal. Ich kann verstehen, dass ihnen, wie es im Text steht, einfach die Augen zugefallen sind. Zugefallen vor einer abgrundtiefen Erschöpfung. Mit einem Mal war klar, dass ihr Weg mit Jesus dem Ende entgegenging. Ihr Weg mit Jesus, das bedeutet: alles, worauf sie gesetzt und gehofft hatten, stand vor dem Ende.
Kurz danach wird Jesus verhaftet. Dann hören wir nur noch: „Da ließen ihn alle Jünger im Stich und ergriffen die Flucht.“ Sie tauchen erst wieder auf nachdem Jesus auferstanden war.
 
Die einzigen übrigens, die standgehalten und sich das Leiden Jesu angesehen haben, waren Frauen, nicht die männlichen Jünger. Ich gestehe, dass ich den folgenden Satz bisher noch nicht so richtig wahrgenommen hatte: Nachdem Jesus gestorben war, steht bei Matthäus: „Es waren auch viele Frauen da, die aus der Ferne alles mit ansahen. Seit Jesus in Galiläa wirkte, waren sie ihm gefolgt und hatten für ihn gesorgt.“ Das als kleiner Nachtrag zum Weltfrauentag.
 
Liebe Gemeinde, „Jünger: Wörtlich »Schüler«. Frauen und Männer, die ihrem Lehrer folgten und von ihm lernten.“ habe ich anfangs gesagt. Ich denke, dass die Szene unseres Predigttextes das bisherige Verhältnis Lehrer / Schüler beendet und eine neue Beziehung zwischen Jesus und seinen Nachfolgerinnen und Nachfolgern ankündigt.
 
Jesus geht dem Tod entgegen und erfüllt dabei den Willen Gottes. Das kann nur er. Das muss er mit sich und Gott ausmachen. Deshalb geht er jedes Mal ein paar Schritte von den Jüngern weg, um mit seinem Vater zu reden. Am Schluss sagt er „Seht die Stunde ist da!“ Da hat er den Auftrag Gottes angenommen und neue Kraft bekommen. Er sagt zu den müden Jüngern „Steht auf, wir wollen gehen“. Er ist jetzt auf dem Weg zu Gott.
 
Die Schüler, die Jünger, hören nicht mehr auf ihn. Drei Mal hatte er sie gebeten, mit ihm zu wachen. Drei Mal sind sie in tiefen Schlaf gefallen. Sie können nicht mehr. Für sie geht es erst weiter, wenn sie dem auferstandenen Christus begegnen. Dann beginnt eine neue Beziehung zu ihm, eine neue Glaubensbeziehung. Sie haben Jesus dann nicht mehr als Lehrer oder als Vorbild vor sich, sondern als den von den Toten auferstandenen Sohn Gottes. Sie folgen dann nicht mehr einem Prediger und Wundertäter nach, sondern sind Glaubende, die die Botschaft von dem Herrn und Retter der Welt weitergeben sollen. Sie wirken dann selbst im Auftrag Jesu in den Gemeinden.
 
Anders gesagt: Ich sehe noch einen tieferen Grund dafür, dass sie in so einen tiefen Schlaf gefallen sind, dass nicht einmal Jesus sie mehr erreichen konnten. Damit wird klar: dieser Weg ist für sie an ein Ende gekommen. Ein neuer Weg beginnt, der Weg des Glaubens an den auferstandenen Christus, der uns Hoffnung gibt, der uns Taten der Liebe tun lässt, der uns von Sünden und Tod erlöst. 
Seit 2000 Jahren ist das so, es ist unser Weg. 
Amen
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