Predigt am Reformationstag, 31. Oktober 2024

Thu, 31 Oct 2024 19:00:06 +0000 von Martin-Luther-Kirchengemeinde Ahlem

Predigttext: Römer 3,21-28

Vorbemerkung: Heute haben wir einen Text vor uns, der für Martin Luther ein zentraler Text der Bibel, vielleicht der wichtigste überhaupt war. Es ist einer der Texte, aus denen er die so genannte Rechtfertigungslehre entwickelt hat.

Der Text handelt von Gottes Gerechtigkeit. „Gerechtigkeit“ meint dabei Gottes Treue und Verlässlichkeit, die Einlösung seiner Zusagen und sein rettendes Handeln. Vom Menschen her ist „Gerechtigkeit“ die Erfüllung der Gebote Gottes.

Die Gerechtigkeit kommt durch den Glauben an Jesus Christus
21 Aber jetzt ist Gottes Gerechtigkeit offenbar geworden,
 und zwar unabhängig vom Gesetz.
 Das bezeugen das Gesetz und die Propheten.

22 Es ist der Glaube an Jesus Christus,
 der uns die Gerechtigkeit Gottes zugänglich macht.
 Der Weg zu ihr steht allen Glaubenden offen.
 Denn in dieser Hinsicht gibt es keinen Unterschied:

23 Alle sind schuldig geworden
 und haben keinen Anteil mehr
 an der Herrlichkeit Gottes.

24 Sie verdanken es also allein seiner Gnade,
 dass sie von Gott als gerecht angenommen werden.
 Er schenkt es ihnen aufgrund der Erlösung,
 die durch Christus Jesus geschehen ist.

25 Durch dessen Blut hat Gott ihn
 als Zeichen der endgültigen Versöhnung eingesetzt.
 Und durch den Glauben erhalten wir Anteil daran.
 So hat Gott seine Gerechtigkeit unter Beweis gestellt.
 Lange hat er die Verfehlungen ungestraft gelassen,
 die früher begangen wurden.

26 Gott hat sie in Geduld ertragen.
 Doch jetzt, zu diesem besonderen Zeitpunkt,
 will er beweisen, dass er wirklich gerecht ist.
 Ja, er ist gerecht.
 Und er nimmt diejenigen als gerecht an,
 die aus dem Glauben an Jesus leben.

27 Gibt es irgendeinen Grund, auf etwas stolz zu sein?
 Nein, das ist ausgeschlossen!
 Welches Gesetz schließt das aus?
 Etwa das Gesetz der Werke?
 Nein, sondern das Gesetz des Glaubens!

28 Denn wir sind der Überzeugung,
 dass der Mensch allein aufgrund des Glaubens
 gerecht ist –
 unabhängig davon, ob er das Gesetz befolgt.
 
Liebe Gemeinde!

„Ich will so bleiben, wie ich bin ...“ (du darfst) – Das war ein Werbespot in den 80er und 90er Jahren. Eine Lebensmittelfirma hat Produkte mit weniger Fett und weniger Zucker hergestellt. Der Werbeslogan sollte suggerieren, dass man von den „du darfst“-Produkten so viel essen könne, wie man wolle, ohne an Gewicht zuzulegen. Ich weiß zwar nicht, ob das jemand so voll und ganz geglaubt hat, jedenfalls wurde die Ausstrahlung des Werbespots 2012 wegen falscher Versprechungen verboten. 

Gehen wir mal weg vom Körpergewicht. Der Slogan spricht ja viel mehr an als das Gewicht.

„Ich will so bleiben, wie ich bin“ – ich bin mit mir zufrieden, ich bin mit mir im Reinen, ich schulde niemandem etwas, ich bin in der Gesellschaft akzeptiert, ich tue Gutes, vielleicht noch: ich halte mich an die zehn Gebote, ich bete  .....

„Ich will so bleiben, wie ich bin“ – ist das so? Viele würden sagen: nein!
- ich möchte irgendwie anders werden, damit ich anerkannt und geliebt werde. 
- ich möchte stärker sein, ich will mich mehr behaupten. Zum Beispiel auf dem Schulhof, ich will mich gegen das Mobbing wehren können. Oder:  Ich möchte im Beruf erfolgreicher sein, die Konkurrentinnen und Konkurrenten aus dem Weg räumen.
- ich möchte ein anderer Mensch sein, weg vom Alkohol, weg von den Drogen, weg von der Spielsucht. Ich möchte, dass ich mein Leben in den Griff bekomme.
- ich möchte ein anderer Mensch sein, liebevoller,  liebenswürdiger, nicht mehr so eifersüchtig.
- ich fühle mich nicht wohl in meiner Haut, ich weiß nicht mehr, wer ich eigentlich bin.

„Ich will so bleiben, wie ich bin“ – ist das nicht merkwürdig, dass mir spontan mehr zu dem Punkt „ich will NICHT so bleiben wie ich bin“ einfällt, als zu dem Punkt „ich will so bleiben, wie ich bin“?

Was ist los mit uns? Warum diese Unzufriedenheit? Wir sind doch freie, selbstbestimmte Menschen! -  Ja, aber wir sind auch in einem engen Korsett eingeschnürt. Unsere Kindheit, unsere Erziehung, unsere Bildung, unsere Familien, die Chancen in unserer Gesellschaft, unsere Einstellung zum Leben, unser Glaube an höhere Mächte – es gibt so viele Einflüsse, die unser Leben bestimmen.

Szenenwechsel. Ungefähr 510 Jahre zurück. Der Mönch Martin Luther sitzt in seiner Klosterzelle und ist verzweifelt. Er müsste eigentlich mit sich zufrieden sein. Sein Leben war zwar nicht geradlinig verlaufen, aber durchaus erfolgreich.

Er stammte aus einer einigermaßen wohlhabenden Familie und konnte die Lateinschule besuchen  - schon das war ein Privileg. Er ging dann zur Universität und absolvierte erfolgreich das Grundstudium. Dann sollte er nach dem Willen seines Vaters Jura studieren. Es gab aber ein Ereignis, das seine Pläne grundlegend änderte: Am 2. Juli 1505 überraschte ihn auf dem Rückweg von einem Elternbesuch in Mansfeld bei Stotternheim ein schweres Gewitter. In Todesangst gelobte er der heiligen Anna, er wolle Mönch werden, wenn sie ihn rette.Er kam heil davon.

Also wurde er Mönch und machte Karriere. Seine Vorgesetzten bestimmten, dass er Priester werden und Theologie studieren solle. Sie erkannten sein Talent! Er wurde zum Priester geweiht und begann das Studium, promovierte zum Doktor der Theologie und lehrte als Professor. So weit, so erfolgreich. Er hätte allen Grund gehabt zu sagen: Ich will so bleiben, wie ich bin. Fromm, rechtschaffen, im Dienst Gottes.

Und trotzdem war er verzweifelt. Er fühlte sich trotz seines vorbildlichen Lebens als Mönch vor Gott als Sünder. Er hatte das Gefühl, Gott nicht gerecht werden zu können, vor Gott nicht bestehen zu können. Obwohl er intensiv betete, obwohl er am klösterlichen Leben mit den täglichen Andachten und der dauernden Beichte teilnahm. Er fragte sich, wie schaffe ich es, nicht so zu bleiben, wie ich bin, sondern Gott zu gefallen? Wie schaffe ich es, dass mich Jesus Christus  erlösen wird, mir das ewige Leben schenken wird?

Nun leben wir mehr als 500 Jahre später. Sind das noch unsere Fragen? Auf jeden Fall gilt, was mir jemand vor kurzem schrieb: „Ein Christ / eine Christin sollte doch froh und befreit durchs Leben gehen!" Genau, aber wie geht das?

Schauen wir, was Martin Luther aus seinen Seelenqualen gerettet hat. Er meditierte über den Römerbrief und machte eine Entdeckung, die nicht nur sein Leben, sondern ganz Europa bewegt hat. Besonders dicht steht das in dem letzten Vers unseres Textes:

„28 Denn wir sind der Überzeugung,
 dass der Mensch allein aufgrund des Glaubens gerecht ist –
 unabhängig davon, ob er das Gesetz befolgt.“

Da wurde ihm klar: Wir können nichts dazu beitragen, um Gott zu gefallen, dass wir ihm recht, lieb, wert und teuer sind. Er wendet sich uns zu – ohne Voraussetzungen. Er spricht uns die Gerechtigkeit zu, das meint: Gott sagt zu uns: Du bist angenommen!  Du erfüllst für mich alle Voraussetzungen! Denn die hat Jesus Christus schon für dich erfüllt. 

Und der Glaube ist keine Leistung, die du bringen kannst, indem du das Gesetz, alle Gebote erfüllst. Der Glaube ist das Vertrauen darauf, dass Jesus Christus alles für dich getan hat, damit du erlöst sein kannst. Vertraust du darauf, gehst du als ein anderer Mensch befreit durchs Leben.

In Luthers Worten:
»Glaube ist eine lebendige, verwegene Zuversicht auf Gottes 
Gnade, so gewiss, dass er tausendmal drüber stürbe. Und solche Zu-
versicht und Erkenntnis göttlicher Gnade macht fröhlich, trotzig und 
voller Lust auf Gott und alle Kreaturen. Daher wird der Mensch 
ohne Zwang willig und voller Lust, jedermann Gutes zu tun, jeder-
mann zu dienen, allerlei zu leiden, Gott zu Liebe und zu Lob, der einem 
solche Gnade erzeigt hat.«

„Ich will so bleiben, wie ich bin“. Eigentlich müsste es im Blick auf Luthers Erkenntnis heißen: „Ich DARF so bleiben, wie ich bin! – Muss es aber nicht.“ Gottes Beitrag ist: Ich, Gott, nehme dich ohne Voraussetzungen an. Durch den Glauben an meinen Sohn Jesus Christus bis du gerechtfertigt, also gut genug für mich, gut genug dafür, dass ich dich rette und erlöse. Im Vertrauen auf Gottes Gnade, im Glauben, wirst du dich ändern und nach dem Willen Gottes leben. 

Amen

Dr. Johannes Neukirch, Predigt am 31.10.24 in der Martin-Luther-Kirche Ahlem
Bestätigen

Bist du sicher?