Predigt am 5. Sonntag nach Trinitatis, 30. Juni 2024

Wed, 03 Jul 2024 07:29:22 +0000 von Martin-Luther-Kirchengemeinde Ahlem

Predigttext: 2. Kor 11,18.23b–30; 12,1–10 

Liebe Gemeinde,
wenn Sie die Berichte über das Fernseh-Duell zwischen dem amerikanischen Präsidenten Joe Biden und seinem Herausforderer Donald Trump gesehen haben, dann konnten Sie wieder mal spüren, wie gnadenlos es in unserer Welt zugeht. Jede kleine Schwäche wird im gleißenden Licht des Fernsehstudios sofort sichtbar. In der HAZ stand ein Artikel mit der Überschrift „Die Macht der TV-Bilder: Als Schweißflecken amerikanische Wahlen entschieden.“ Da ging es um das erste TV-Duell der Geschichte im Jahre 1960 zwischen John F. Kennedy und Richard Nixon. Nixon ging es nicht gut, er hatte eben eine Erkältung hinter sich, hatte Augenringe, war schlecht rasiert und blass, wird berichtet. Ihm gegenüber saß dieser 42-jährige Sunnyboy, den bis dahin kaum jemand kannte. Aber das TV-Duell drehte diese Umfragen komplett. Das gesprochene Wort spielte kaum eine Rolle: „Ein schwitzender, blasser Nixon, der sich verkrampft im Stuhl windet wie ein beim Stehlen ertapptes Kind, sitzt diesem coolen Menschen mit einem Lächeln wie aus der Zahnpastawerbung gegenüber“ so schreibt die HAZ - das hat die Wahl wohl entschieden. 

Der Auftritt entscheidet. Stärke zeigen, ist wichtig. Und das gilt ja damals wie heute auf allen Ebenen. Wer sich jemals um einen Ausbildungsplatz oder eine Stelle beworben hat, weiß das. Wer Karriere machen will, holt sich entsprechende Ratgeber. Wer eine Prüfung bestehen will, bereitet sich gründlich vor. 

Wenn es um unsere christliche Religion geht, dann weisen wir ja gerne darauf hin, dass sich Christinnen und Christen besonders um die Schwachen kümmern, um die Würde des Menschen, um die Gleichheit aller Menschen.

Richtig - einfach selbstverständlich ist das allerdings nicht. Das zeigt uns ausgerechnet ein Brief des Paulus an die Gemeinde in der griechischen Stadt Korinth, die er selbst gegründet hatte: Andere Apostel, also andere Verkünder der guten Nachricht von Jesus Christus kommen offenbar besser an als er, heißt es im 2. Brief an die Korinther. Sie können gut reden geben an mit tollen spirituellen und charismatischen Erfahrungen, die sie gemacht haben. Sie erzählen von Visionen, die sie gehabt haben. Und die Gemeinde in der Hafenstadt fand das offensichtlich toll! Paulus dagegen galt als nüchtern, der die Leute nicht so begeistern konnte wie seine Konkurrenten.

Es hilft nichts, Paulus muss sich dem Duell stellen, muss um seine Glaubwürdigkeit kämpfen, muss performen.

Zuerst führt er in unserem heutigen Predigttext aus dem 11. und 12. Kapitel des 2. Korintherbriefs auf, wie er sich für die Verbreitung der frohen Botschaft eingesetzt hat. - „Weil so viele ihre äußeren Vorzüge loben, / will auch ich es einmal tun.“ schreibt er und zählt dann auf: Er war im Gefängnis, in Lebensgefahr, wurde geschlagen, hat auf seinen gefährlichen Reisen Schiffbruch erlitten, litt Hunger und Durst, und so weiter und so fort. Ob das die Leute beeindruckt hat? Paulus glaubt wohl selbst nicht daran und sagt: 

„Ich muss mich selbst wohl noch mehr loben. / Es nützt zwar nichts, / trotzdem will ich auf Erscheinungen / und Offenbarungen des Herrn zu sprechen kommen.“ Es geht nun also um die spirituellen Erfahrungen, die er gemacht hat, also um seine besondere und innige Verbindung mit Gott bzw. mit dem Heiligen Geist.

Er erzählt, dass „bis in den dritten Himmel emporgehoben wurde“, was immer das bedeuten mag. Dann, dass er „in das Paradies emporgehoben wurde“,  dass er dort „unsagbare Worte hörte, die kein Mensch aussprechen darf." Er erwähnt also Erscheinungen, Visionen, spirituelle Erlebnisse und sagt im selben Atemzug, dass sie für seinen Kampf um Glaubwürdigkeit gegenüber seinen Mitstreitern nicht viel bedeuten, denn inhaltlich erfahren wir darüber gar nichts über die Erscheinungen. Er sagt ja selbst „Es nützt nichts“

Womit kann nun Paulus in dem Duell mit den anderen Aposteln punkten, was trennt die Spreu vom Weizen?

Jetzt wird es spannend, liebe Gemeinde. Denn seine Stärke unterscheidet sich fundamental von allem, was wir für gewöhnlich dafür halten.
Er schreibt: „Im Hinblick auf mich selbst / kann ich nur mit meiner Schwäche angeben.“ - noch mal: „Im Hinblick auf mich selbst / kann ich nur mit meiner Schwäche angeben.“
Er findet zwar, dass seine Offenbarungen außergewöhnlich seien, aber nicht beweiskräftig. „Denn“, so weiter „man soll mich nur nach dem beurteilen, was man direkt von mir sieht oder hört.“
 „Aber damit ich mir nichts darauf einbilde,“ schreibt Paulus, „ließ Gott meinen Körper mit einem Stachel durchbohren. / Ein Engel des Satans darf mich mit Fäusten schlagen, / damit ich nicht überheblich werde. 

Paulus spricht hier von seiner Krankheit, über die vielfach spekuliert worden ist. Egal was es war, schwere Muskelkrämpfe, Migräneanfälle, Nierenkoliken - was auch immer, er interpretiert sie als Werk des „Engels Satans“.Er schreibt:  „Dreimal habe ich deswegen zum Herrn gebetet, / dass er ihn wegnimmt. Aber der Herr hat zu mir gesagt: / »Du brauchst nicht mehr als meine Gnade. / Denn meine Kraft / kommt gerade in der Schwäche voll zur Geltung.« / Ich will also gern stolz auf meine Schwäche sein. / Dann kann sich an mir / die Kraft von Christus zeigen.  Deshalb freue ich mich über meine Schwäche – / über Misshandlung, Not, Verfolgung und Verzweiflung. / Ich erleide das alles gern wegen Christus. / Denn nur wenn ich schwach bin, bin ich wirklich stark.“

Liebe Gemeinde,

Paulus erfüllt die Erwartungen der Gemeinde in Korinth nicht. Er präsentiert sich nicht - wie andere - als strahlender religiöser Held, der mit seinen spirituellen Großtaten prahlt. Er hat sich die Schwachheit, die Krankheit, aber auch nicht ausgesucht, er hat ja darum gebetet, dass Gott ihn davon erlösen möge. Er nimmt es, wie es ist, weil es ihm alleine darum geht, dass die Kraft Christi in ihm wohnt, die ihn auch in schlimmen Zeiten trägt. Und er begreift, dass es darum geht, Gottes Auftrag auszuführen, und dass die Gnade Gottes das möglich macht, auch wenn er selbst schwach ist. Dass er dann schreibt „Ich freue mich über meine Schwäche, über Misshandlung, Not etc. - ist zugegebenermaßen extrem formuliert. Andrerseits beschäftigen wir uns heute noch mit ihm, der sich über seine Schwäche freut, und nicht mit seinen Konkurrenten.

Wir, liebe Gemeinde, stehen nicht in einem so harten Wettbewerb wie Paulus  - wer von uns den stärksten Glauben hat, wer das meiste für die Kirche geleistet, wer die tiefsten Glaubenserfahrungen hat. Aber wir geraten doch immer wieder in die Situation, uns mit unseren Grenzen und Einschränkungen, unserer Schwäche, auseinanderzusetzen. Und auch mit den Grenzen und Einschränkungen anderer. Es lohnt sich darüber nachzudenken, wie wir das tun.

Wir können uns ermutigen lassen: Du kannst deine Schwäche zeigen und dich auf die Gnade Christi verlassen. Wie vielen Menschen hat dieser Satz Trost und Kraft gegeben, ich zitiere ihn in der Lutherübersetzung: „Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit.“

Dietrich Bonhoeffer hat einmal gesagt: 
„Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.“


Dr. Johannes Neukirch, Predigt am 30.6.2024 in der Martin-Luther-Kirchengemeinde Ahlem
Bestätigen

Bist du sicher?