Liebe Gemeinde!
Die Reformation ist nicht abgeschlossen. Besser noch: sie kann und darf nie abgeschlossen werden. Was mit Martin Luther und den anderen Refomatoren begann, ist zum einen ein historisches Ereignis mit weitreichenden politischen und gesellschaftlichen Folgen. Zum anderen betrifft die Reformation heute noch unser aller Glaubensleben. Denn Martin Luther hat den christlichen Glauben nicht als ein festes Konstrukt verstanden, nicht als ein starres Regelwerk. Er hat es geschafft, den Glauben so zu verstehen, dass er uns immer wieder herausfordert, dass er lebendig bleibt, dass wir ihn immer wieder neu begreifen und ergreifen können.
Seine Botschaft können wir in einem kurzen Satz zusammenfassen: Vergiss deine Wurzeln nicht!
Wie ein Baum nur wachsen kann, wenn er mit seinen Wurzeln verbunden ist, so kann unser Leben sich nur zum Guten entwickeln, wenn wir unsere Wurzeln pflegen und uns durch sie tragen und orientieren lassen.
Was sind unsere Wurzeln? Martin Luther hat sie gebündelt: wir sind gerettet „Sola Scriptura“ - auf Deutsch: allein durch die Schrift! “Sola Fide!“ – „Allein durch den Glauben“. Und der, der uns rettet, ist „Solus Christus“ – „Allein Christus“!
1. Sola Scriptura – Allein durch die Schrift – also die Bibel -finden wir die Orientierung, die wir brauchen, davon war Luther überzeugt. Er hat damals der mächtigen katholischen Kirche widersprochen. Denn durch sein intensives Bibelstudium hat er gemerkt, dass Vieles, was in der Kirche gelehrt und gelebt wurde, einfach falsch war. Es braucht ein Korrektiv, einen Maßstab, nach dem man beurteilen kann, ob ein Dogma, ein Lehrsatz, stimmt oder nicht. Dieser Maßstab sind für ihn Altes und vor allem Neues Testament. Nun kann man einwenden: da steht vieles drin, was unterschiedlich verstanden wird. Sein Maßstab für das Verstehen der Bibel war: Richtig ist alles, „was Christum treibet“ – alles, was mit der Botschaft von Jesus Christus übereinstimmt. Um es mit einem Liedvers zu sagen: „Gott liebt diese Welt / und wir sind sein Eigen. / Wohin er uns stellt, / sollen wir es zeigen: / Gott liebt diese Welt!“
Dieses „was Christum treibet“ war eine fundamentale Erkenntnis, die wahr bleibt. Es genügt nicht, einer Leitfigur oder einer Meinung, einem Dogma einfach zu folgen, weil einer das gesagt hat oder weil das alle machen. Gehorsam kann gut sein, aber auch in die Katastrophe führen. Es kommt immer darauf an, wem man gehorcht! Lassen wir uns zum Beispiel durch das Neue Testament vom Apostel Paulus ansprechen! Der sagt: in Christus sind wir alle eins – da sind nicht Juden und Griechen, nicht Frauen und Männer, nicht freie und unfreie – dann haben Antisemitismus und Rassismus keine Chance und Frauen und Männer stehen auf der gleichen Stufe. Wenn in Christus alle eins sind, dann gibt es nicht die, die weniger und andere, die mehr wert sind. Dann sind wir alle Gottes Kinder, gleichermaßen von Gott geliebt. Das treibt Christus!
2. Die zweite Wurzel, aus der wir nach reformatorischer Sicht leben können und sollen, nennt Luther „Sola Fide“ - allein durch den Glauben. Was Luther mit Glauben meint, kann man am besten wiedergeben mit „Vertrauen auf Gott“. Das brauchen wir so dringend. Denn worauf auch sonst soll man heute noch vertrauen?? Die Welt steht in Flammen. Viele Menschen kommen ums Leben, weil sie als Soldaten in sinnlose Kriege verwickelt werden, weil sie als Opfer in die Schusslinie geraten, weil sie nicht aus dem Gaza-Streifen herauskommen, weil sie für die Ziele anderer herhalten müssen.
Da wirken die Worte Jesu aus der Bergpredigt, sie sind unser Predigttext heute, wir haben sie vorhin auch schon als Lesung gehört - sie sind wie Trost aus einer anderen Welt.
Selig sind die geistlich arm sind, denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig sind, die Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden. Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen. Selig sind, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden. Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen. Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen. Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihnen gehört das Himmelreich.
Für einen Moment schweigen die Nachrichten, schweigt das Toben der Bomben und das Weinen und Klagen und der Himmel tut sich auf – Jesus lässt uns sozusagen hinter die Kulissen schauen und wir sehen: was Menschen hier durchleiden müssen, das ist nicht alles. Es gibt sie, die viel größere Wirklichkeit Gottes, in der endlich all das Schlimme dieser Welt geheilt und getröstet sein wird. Denken wir nicht, das sei zu wenig, das seien nur vertröstende Worte, die aber das Leid und hier jetzt nicht lindern könnten. Lassen wir uns die schönen Bilder, die in Jesu Worten stecken, eingehen:
Getröstet werden… satt werden… Barmherzigkeit erlangen… Gott schauen… Gottes Kinder sein… das Himmelreich besitzen…
Je mehr wir diese heilsamen Worte in uns wirken lassen, desto leichter wird es, den Blick wieder zu weiten über das Schlimme hinaus. Es gibt auch sie, die versöhnlichen Töne in unserer Welt. Ein Beispiel: Vertreter der führenden muslimischen Verbände in Deutschland haben demonstrativ eine Synagoge besucht, um zu zeigen, dass sie gerade jetzt mit den Juden fühlen. Sie folgen dem Judenhass nicht, der in manchen Teilen der muslimischen Welt geschürt wird. Sie zeigen, dass Frieden möglich ist.
3. Für die, denen es aber nicht möglich ist, sich so auf die Worte von Jesus einzulassen, die dieses Gott-Vertrauen, diesen Glauben nicht aufbringen können, weil der Schmerz einfach zu groß ist, die Verzweiflung zu tief, für die nennt Luther noch eine dritte Wurzel, aus der wir Rettung ziehen können: „Solus Christus“ heißt sie - allein Christus. Christus hat seinen Freundinnen und Freunden Mut gemacht. Die waren so in Angst, dass sie nicht entspannt und beruhigt durch Gottes Nähe sein konnten. Sie befürchteten den nahen Weltuntergang. Zu ihnen sagt Christus: „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost. Ich habe die Welt überwunden“. Wenn alle Stricke reißen, können wir uns an Christus festhalten. Er kennt selbst den Schmerz und weiß, was die Menschen in Israel und in Palästina, in der Ukraine und in Russland – um nur die momentan dramatischsten Konflikte zu nennen – leiden. Er ist da, in jedem Moment der Kriege, in jedem Moment unseres Lebens. Dass wir gerettet sind, hängt nicht davon ab, ob wir an ihn glauben können. Er hat es schon getan, er schenkt uns die Rettung.
Sola Scriptura, Sola Fide, Solus Christus – drei Wurzeln, aus denen wir auch heute Kraft für ein gelingendes und getröstetes Leben ziehen können. Martin Luther hat das so ausgedrückt:
„Glaube ist eine lebendige, entschlossene Zuversicht auf Gottes Gnade, so gewiß, daß er tausendmal darüber stürbe. Und solche Zuversicht und Erkenntnis göttlicher Gnade macht fröhlich, trotzig und lustig gegen Gott und alle Kreaturen: Das tut der heilige Geist im Glauben. Daher wird er ohne Zwang willig und lustig, jedermann Gutes zu tun, jedermann zu dienen, allerlei zu leiden. Gott zu Liebe und zu Lob.“
Danke an die Reformation!
Amen.