Predigt am 22. Sonntag nach Trinitatis, 27. Oktober 2024

Tue, 29 Oct 2024 18:03:38 +0000 von Martin-Luther-Kirchengemeinde Ahlem

Liebe Gemeinde,
der Prophet Micha ist vor ungefähr 2.700 Jahren aufgetreten. Er war ein so genannter Gerichtsprophet, das heißt, er hat soziale Ungerechtigkeiten, Machtmissbrauch, Rechtsbeugung und Korruption aufgedeckt und öffentlich gemacht. Ich zitiere mal einen Abschnitt – und man fühlt sich in unsere Gegenwart versetzt:

„Wehe denen, die nachts Unheil planen
und sich in ihren Betten böse Taten ausdenken!
Kaum wird es morgens hell, führen sie es aus.
Denn sie haben die Macht dazu.
2 Gieren sie nach Ackerland, rauben sie es.
Wollen sie Häuser haben, nehmen sie diese weg.
So üben sie Gewalt am Besitzer und an seinem Haus,
an jedermann und an seinem Eigentum.“

Gleichzeitig hat Micha aber auch von einer guten, heilvollen Zukunft gesprochen. Die berühmte Formel von den Schwertern, die zu Pflugscharen werden, steht bei ihm (allerdings auch bei anderen Propheten): „Er – also Gott - wird unter vielen Völkern richten und mächtige Nationen zurechtweisen in fernen Landen. Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln.“
 
Gerichtspropheten wie Micha machen noch mehr als Ungerechtigkeiten aufzudecken. Sie ermahnen die Menschen, sie wollen, dass sie sich bessern. Und damit sie das tun, erinnern sie daran, was Gott für uns Menschen getan hat und was er von uns erwartet. 

Ein Thema ist selbstverständlich auch die Schuld, die Menschen auf sich laden. Wie wird man die wieder los? Wie bekommen wir wieder ein gutes Verhältnis zu unserem Gott, wie kommen wir wieder mit ihm und er mit uns klar?

Auch in unserem Predigttext geht es darum. Micha stellt die Frage, wie wir uns Gott gegenüber richtig verhalten, als eine Auseinandersetzung zwischen Gott und seinem Volk Israel und letztlich der ganzen Welt dar. Er konstruiert sogar einen Rechtsstreit „Gott gegen die Menschen“. Allein das ist schon äußerst erstaunlich, als ob Gott sich vor uns rechtfertigen müsste.. Aber Rechtsstreitigkeiten kennen wir ja, also warum nicht.

Der Text: Zuerst spricht der Prophet im Auftrag Gottes:
6 1 Hört, was der HERR sagt: / Führe einen Rechtsstreit mit den Bergen / und lass die Hügel auf deine Stimme hören! 
2 Hört, ihr Berge, worum es dem HERRN geht! / Gebt acht, ihr Fundamente der Erde! / Der HERR hat einen Rechtsstreit mit seinem Volk. / Er tritt in eine Auseinandersetzung mit Israel: 
3 Mein Volk, was habe ich dir getan? / Habe ich etwa zu viel von dir verlangt? / Steh mir Rede und Antwort! 
4 Ich habe dich doch aus Ägypten geführt / und aus der Sklaverei befreit. / Ich habe Mose, Aaron und Mirjam dazu bestimmt, / dass sie dir auf dem Weg vorausgehen. 
5 Mein Volk, denk doch daran: / Was führte Balak, der König von Moab, im Schilde? / Und was hat ihm Bileam, der Sohn des Beor, geantwortet? / Erinnere dich an die Ereignisse, / als du von Schittim nach Gilgal gezogen bist! / So erkennst du, dass der HERR gerecht gehandelt hat. 
Das Volk Israel antwortet:
6 Womit soll ich vor den HERRN treten? / Wie kann ich mich angemessen verhalten / gegenüber dem Gott, der in der Höhe wohnt? / Soll ich mit Brandopfern zu ihm kommen, / mit einjährigen Rindern als Opfertieren? 
7 Wird es dem HERRN gefallen, / wenn ich ihm 1000 Widder bringe / und 10.000 Krüge mit Olivenöl? / Soll ich mein erstgeborenes Kind hergeben, / damit er mir mein Verbrechen verzeiht? / Soll ich die Frucht meines Leibes opfern, / damit er mir meine Schuld vergibt? 

Gott antwortet:
8 Es wurde dir gesagt, Mensch, was gut ist / und was der HERR von dir erwartet: / das Rechte tun, Nachsicht mit anderen haben / und bewusst den Weg mit deinem Gott gehen.

Liebe Gemeinde,
Laute Rufe: Hört hört! Das ist im britischen Parlament, genauer gesagt im House of Commons, bei uns Unterhaus genannt, oft zu hören. Und zwar als Zustimmung zu einem vorgetragenen Punkt oder Thema. Anders als bei uns im Bundestag ist der übliche Beifall nach einem Beitrag oder einer Rede unerwünscht. Statt dessen die lauten Rufe: Hört hört! Soll heißen: Hört genau hin, was der Kollege oder die Kollegin gesagt hat. Lasst es auf euch wirken! Es ist wichtig!

Hört hört, was Gott sagt! Das sagt der Prophet Micha. Es ist wichtig, lasst es wirken, gebt ihm Raum! Dieses „hört“ hat es mir besonders angetan. Vor allem, weil es ja dann heißt: 
2 Hört, ihr Berge, worum es dem HERRN geht!
 Gebt acht, ihr Fundamente der Erde!

Mit Fundamenten ist die Vorstellung im Alten Orient gemeint, dass die Erde auf Pfeilern ruht, die im unterirdischen Meer verankert sind. So wichtig ist das „hört“, dass es eine Wirkung bis zu den Fundamenten der Erde hat. Es geht also nicht um Kleinigkeiten. Es geht um gewaltige Dinge. Was Gott sagt, wirkt auf die Fundamente der Welt.

Viele schauen bei diesem Text ja vor allem auf den letzten Satz, „Es wurde dir gesagt, Mensch, was gut ist / und was der HERR von dir erwartet: / das Rechte tun, Nachsicht mit anderen haben / und bewusst den Weg mit deinem Gott gehen.“ Ja, darauf läuft alles hinaus, das ist schon richtig. 

Dieser Satz hat sich im Laufe der Zeit in den Vordergrund geschoben. Darüber dürfen wir aber den Anfang des Textes, das „hört“ nicht vergessen. Schon weil es so stark betont wird. Ich finde das „hört“, sehr spannend. Der Schlüssel für unseren Text liegt in dem „hört“ am Anfang. 

Warum ist Hören so wichtig? Hören ist wie das Sehen ein Fernsinn. Das heißt: durch das Hören werden Entfernungen überwunden. Jemand kann sich mit mir in Verbindung setzen, ohne mich zu berühren. Kleinkinder lernen  durch das Hören das Artikulieren. Hören ist ein wichtiger Sinn, damit sie sich die Welt um sie herum erschließen können. Allgemein gesagt: Hören verbindet uns mit anderen Menschen! 

UND: es verbindet uns mit Gott! Hört, was Gott sagt, meint: Gott will etwas von uns! Er ist ein lebendiger Gott, der mit uns Kontakt aufnimmt. Er spricht, durch Propheten, durch seinen Sohn. Er lässt sich auf eine Auseinandersetzung, sogar auf einen Rechtsstreit ein. Er lässt sich nicht einfangen, er lässt sich nicht kaufen durch irgendwelche Opfer, und seien sie noch so wertvoll. Nein, er will, dass wir hören, auf ihn hören, ihm zuhören. Wir sollen ansprechbar sein für ihn.

Er schickt Propheten, die soziale Ungerechtigkeiten, Machtmissbrauch, Rechtsbeugung und Korruption aufgedecken und anprangern. Aber er bleibt dabei nicht stehen, sondern lässt diese Propheten gleichzeitig sagen: Hört mir doch endlich zu! Öffnet eure Ohren und eure Herzen! Dann wird etwas passieren, dann verändern wir uns,  dann verändert sich die Welt.

Wo Menschen sich verschenken, werden wir gleich singen, die Liebe bedenken und neu beginnen, ganz neu, da berühren sich Himmel und Erde, dass Friede werde unter uns.

Amen.

Dr. Johannes Neukirch, Predigt in Ahlem am 27.10.2024
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