Dr. Johannes Neukirch
Predigt zum Vierten Sonntag vor der Passionszeit, 6. Februar 2022
über Matthäus 14,22-33 in der St.-Johannes-Kirchengemeinde Hannover-Davenstedt
über Matthäus 14,22-33 in der St.-Johannes-Kirchengemeinde Hannover-Davenstedt
Jesus geht über das Wasser
22 Sofort danach drängte Jesus die Jünger,
in das Boot zu steigen.
Sie sollten an die andere Seite des Sees vorausfahren.
Er selbst wollte zuerst noch
die Volksmenge verabschieden.
23 Als die Volksmenge weggegangen war,
stieg er auf einen Berg,
um in der Einsamkeit zu beten.
Es war schon Abend geworden,
und Jesus war immer noch allein dort.
24 Das Boot war schon weit vom Land entfernt.
Die Wellen machten ihm schwer zu schaffen,
denn der Wind blies direkt von vorn.
25 Um die vierte Nachtwache kam Jesus zu den Jüngern.
Er lief über den See.
26 Als die Jünger ihn über den See laufen sahen,
wurden sie von Furcht gepackt.
Sie riefen: »Das ist ein Gespenst!«
Vor Angst schrien sie laut auf.
27 Aber sofort sagte Jesus zu ihnen:
»Fürchtet euch nicht! Ich bin es.
Ihr braucht keine Angst zu haben.«
Petrus findet Halt bei Jesus
28 Petrus sagte zu Jesus:
»Herr, wenn du es bist, befiehl mir,
über das Wasser zu dir zu kommen.«
29 Jesus sagte: »Komm!«
Da stieg Petrus aus dem Boot,
ging über das Wasser und kam zu Jesus.
30 Aber auf einmal merkte er, wie stark der Wind war.
Da bekam er Angst.
Er begann zu sinken und schrie: »Herr, rette mich!«
31 Sofort streckte Jesus ihm die Hand entgegen
und hielt ihn fest.
Er sagte zu Petrus: »Du hast zu wenig Vertrauen.
Warum hast du gezweifelt?«
32 Dann stiegen sie ins Boot und der Wind legte sich.
33 Die Jünger im Boot warfen sich vor Jesus nieder.
Sie sagten: »Du bist wirklich der Sohn Gottes!«
Liebe Gemeinde,
Jesus und der See Gennesaret, das ist schon eine besondere Beziehung. Vielleicht, weil einige seiner Jünger Fischer waren. Die Evangelienlesung, wir haben sie vorhin gehört, und der Predigttext spielen beide auf dem See, beide mit stürmischem Wetter; und in dem Psalm, den wir vorhin gebetet haben, ist ebenfalls Sturm, diesmal auf dem Meer. Und das alles passt ja zu dem Wetter, durch das Sie sich in die Kirche gekämpft haben, und zum Sturm der Pandemie.
In der ersten Geschichte droht das Boot unterzugehen. Jesus bleibt von der Aufregung unberührt, er schläft. Dann bedrohte der den Wind und sagte zum See „Werde ruhig! Sei still!“ Da legte sich der Wind, und es wurde ganz still. In der zweiten Geschichte, unserem Predigttext, laufen Jesus und Petrus über das Wasser bis ebenfalls Wind aufkommt. Petrus bekommt Angst, beginnt zu sinken, bis ihn Jesus aus dem Wasser zieht. Sie steigen beide in das Boot, und dann heißt es wie in der ersten Geschichte „der Wind legte sich“.
In beiden Geschichten hat Jesus also Macht über den Sturm. Das zeigt: Jesus hat so viel Macht wie der Schöpfer. Nur der Schöpfer hat die Naturgewalten im Griff! In dem Psalm, den wir anfangs gebetet haben, heißt es: „Auch die haben die Werke des HERRN gesehen und seine Wunder über dem Abgrund: 25 Er rief einen Sturmwind in seinen Dienst, der türmte die Wellen zu schwindelnden Höhen. Da riefen sie zum HERRN in ihrer Not und er führte sie aus ihrer Verzweiflung. 29 Er brachte den Sturmwind zum Schweigen, und die aufgepeitschte See beruhigte sich.“
Jesus hat Schöpfermacht. Deshalb müssen wir uns auch nicht darüber wundern, dass er übers Wasser gehen kann. Seine Jünger profitieren davon. In der einen Geschichte sinkt das Boot dann doch nicht, in der anderen Geschichte hat Petrus ein sehr aufregendes Erlebnis.
Aber warum geraten die Jünger in dem Boot und Petrus auf dem Wasser überhaupt in solch gefährliche Situationen?
Es geht um Vertrauen. Im ersten Fall kann ich ja gut verstehen, dass die Jünger Angst hatten, weil das Boot schon vollgelaufen ist.
Im zweiten Fall sieht es ein wenig anders aus. Jesus sagt zu Petrus „Komm“, der steigt aus dem Boot und es funktioniert: er kann über das Wasser laufen! Kann man sich das überhaupt vorstellen? Wenn es tatsächlich so war, dann muss das doch für ihn eine wahnsinnige Erfahrung gewesen sein. Ich kann über Wasser laufen, ich werde getragen!
Was geht nun schief? Nichts und niemand stört dieses Wunder. Petrus geht auf Jesus zu, so wird das beschrieben. Dann kommt der Wendepunkt, ganz plötzlich. „Aber auf einmal merkte er, wie stark der Wind war. Da bekam er Angst.“
Er selbst ist das Problem, nicht der Wind, nicht Jesus, nicht die anderen Jünger! Der Wind ist so stark, wie er vor seinem Gang über das Wasser war, er wird nicht bedrohlicher. Es war ihm aber offensichtlich nicht so bewusst, er hat ihn nicht so bemerkt, er war ganz auf Jesus und dessen „KOMM“-Ruf konzentriert. Vielleicht hat er sich mal kurz zur Seite gedreht, oder auf das Wasser geschaut – wir wissen es nicht. „Aber auf einmal merkte er, wie stark der Wind war“. Sein Vertrauen auf Jesus aber auch auf sich selbst, auf seinen Glauben, wackelte plötzlich. Er bekam Angst. Dass er ganz in der Nähe von Jesus, dem Sohn Gottes, war, spielte nicht mehr die entscheidende Rolle für ihn. Er schaute auf sich und seine gefährliche Situation. Und dann begann er zu sinken. Er hat wohl Angst vor der eigenen Courage, vor der Macht seines eigenen Glaubens.
Ich kenne das. Mit einem Mal habe ich kein Vertrauen mehr in mich selbst, schlagartig verlässt mich der Mut. Es gibt viele Situationen, die mir dazu einfallen. Eine Prüfung zum Beispiel. Eben habe ich noch alles gewusst, dann kommt die Angst und alles ist wie weggeblasen. Oder jemand hat eine unheilbare Krankheit bekommen. Die Gedanken galoppieren davon: Was kann noch alles kommen? Da nützt das Schulterklopfen und „wird schon werden“ gar nichts mehr.
Ich bin sicher, dass Ihnen weitere Szenen einfallen, in denen jemand den Mut verliert.
Und das Schlimme dabei ist das Gefühl der Hilflosigkeit. Ich kann das ja nicht steuern. Wenn ich Angst vor etwas habe, dann habe ich Angst vor etwas. Ja, wir können, wie es so schön heißt, allen Mut zusammennehmen. Aber das klappt nicht immer. Auch in unserer Geschichte lässt sich ja Petrus nichts zu schulden kommen. „auf einmal merkte er, wie stark der Wind war. Da bekam er Angst“.
Auf der anderen Seite möchte ich sagen: Gut, dass wir diese Geschichte haben! Sie zeigt, dass der Glaube keine Leistung ist, keine Einstellung, kein Wissen sondern ganz und gar Vertrauen! Und zwar ein Vertrauen, das man ganz offensichtlich verlieren kann! Ein Jünger Jesu beginnt zu sinken – als ob er nicht genug von Jesus erfahren hätte, als ob er nicht bei all den Wundern dabei gewesen wäre.
Wichtig für uns ist, wie Jesus darauf reagiert! Als das Boot vollläuft und die Jünger Jesus wecken, sagt er „»Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr immer noch keinen Glauben?“. Als in unserer Geschichte die Jünger sehen, dass Jesus über das WAsser zu ihrem Boot läuft, und sie Angst haben, weil sie ihn für ein Gespenst halten, sagt er: »Fürchtet euch nicht! Ich bin es. Ihr braucht keine Angst zu haben.« Und nachdem er Petrus aus dem Wasser gezogen hat, : »Du hast zu wenig Vertrauen. Warum hast du gezweifelt?«
Fürchtet euch nicht, sagt Jesus den Jüngern und dem sinkenden Petrus streckt er die Hand entgegen. Das ist es, was wir aus diesen Geschichten mitnehmen können: Es kommt vor, dass ich zweifle und den Mut verliere. Dann kann ich wie Petrus rufen, schreien: „Herr, rette mich!“. Dann ist Jesus da und streckt mir die Hand entgegen. Er schafft das, mich aus dem Wasser zu ziehen. Er ist der Herr über alle Stürme des Lebens, er ist von den Toten auferstanden.
Ich wünsche uns diese Erfahrung der rettenden Hand. Und ich wünsche uns, dass wir genau so handeln, wenn wir sehen, dass jemand zu sinken beginnt. Wir können ihm zur Seite stehen, auf ihn zugehen, ihn trösten, ihm sagen „fürchte dich nicht“. Wir können selbst in solche Situationen kommen, deshalb strecken wir anderen die Hand aus.
Amen.