4. Mose 21,4-9
Die Schlange aus Bronze
Die Schlange aus Bronze
4 Die Israeliten zogen vom Berg Hor
weiter in Richtung Schilfmeer.
Dabei nahmen sie einen Umweg um das Land Edom herum.
Das Volk aber wurde auf dem langen Weg ungeduldig.
5 Die Israeliten beklagten sich bei Gott und bei Mose:
»Wozu hast du uns aus Ägypten herausgeführt?
Sollen wir in der Wüste sterben?
Nicht einmal Brot und Wasser gibt es hier.
Wir ekeln uns vor dem schlechten Essen!«
6 Darauf schickte der HERR Giftschlangen zum Volk.
Viele Israeliten wurden gebissen und starben.
7 Das Volk kam zu Mose und bat:
»Wir haben Unrecht getan,
als wir so mit dem HERRN und mit dir geredet haben.
Bete zum HERRN, dass er die Schlangen von uns fortschafft!«
Daraufhin betete Mose für das Volk.
8 Der HERR antwortete Mose:
»Fertige eine Schlange aus Bronze an
und stecke sie auf ein Feldzeichen.
Jeder, der gebissen wurde, soll sie ansehen.
Dann wird er am Leben bleiben.«
9 Da machte Mose eine Schlange aus Bronze
und steckte sie auf ein Feldzeichen.
Und tatsächlich: Wer gebissen worden war
und die Bronzeschlange ansah,
blieb am Leben.
Liebe Gemeinde,
das ist mal wieder einer der urtümlichen Texte aus der Bibel, wie wir sie in der aktuellen Reihe der Predigttexte öfters haben. Mose soll eine Schlange aus Bronze machen und auf einen Stab stecken. Hört sich an wie eine Szene aus einem geheimnisvollen Abenteuerfilm mit magischen Ritualen. Und wenn Sie an einer bestimmten Stelle beim Hören des Predigttextes zusammengezuckt sind - ich bin es auch! „Darauf schickte der HERR Giftschlangen zum Volk. Viele Israeliten wurden gebissen und starben.“ Das ist schon gruselig.
Aber dieser urtümliche Text, dem man sein Alter, mehrere tausend Jahre ansieht oder anhört, hat eine enorme Kraft und wirkte durch die Jahrtausende hindurch. Sie kennen alle diesen Stab mit der Schlange und zwar als Äskulapstab. Der ist das Symbol des ärztlichen und pharmazeutischen Standes, der Äskulapstab ist unter anderem auf den Apothekenzeichen abgebildet. Er geht zurück auf den griechischen Gott Asklepios, den Gott der Heilkunst, er hat auf Abbildungen bzw. Statuen so einen Schlangenstab in seiner Hand. Aber unsere Geschichte aus dem 4. Buch Mose ist noch wesentlich älter und deshalb höchstwahrscheinlich das Vorbild zu dieser Göttervorstellung.
Auf jeden Fall geht es bei der Schlange und dem Stab hier wie dort um Heilung! Und in der Lesung aus dem Johannesevangelium vorhin kamen Mose, Stock und Schlange aus unserem Text ebenfalls vor: „Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn - also Jesus Christus - erhöht werden, auf dass alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben.“ Für Christinnen und Christen geht die Heilung so: Jesus, der gekommen ist, um die ganze Welt zu retten, wird am Ende seines Lebens am Kreuz in die Höhe gehoben. Er bringt das Heil.
So gibt es eine Linie der Heilung von dem Volk Israel, das durch giftige Schlangen bedroht ist über den griechischen Gott Asklepios, über Jesus Christus am Kreuz bis zur Medizin und Pharmazie heute und bis zu uns, die wir diesen Text hören und darüber nachdenken und vielleicht heilende Hoffnung aus ihm erfahren.
Wie kommt es überhaupt dazu, dass Mose den Auftrag bekommt, eine Schlange aus Bronze herzustellen und diese an einem Feldzeichen, einem Signalstab, zu befestigen?
Gott hat das Volk Israel aus der Sklaverei befreit. Nun sind die Menschen, angeführt von Mose, voller Hoffnungen auf dem Weg in ein Land, das ihnen von Gott versprochen worden ist, in das verheißene, das gelobte Land, wie es meistens heißt. Aber das dauert, von 40 Jahren ist die Rede. Und es geht durch die Wüste. Gott führt das Volk tagsüber mit Hilfe einer Wolkensäule, nachts mit einer Feuersäule. Aber mit der Verpflegung hapert es, in Ägypten, in der Gefangenschaft, gab es besseres Essen, so kommt es dem wandernden Gottesvolk jedenfalls vor.
Kein Wunder, dass sich die Israeliten bei Gott und bei Mose beklagen: »Wozu hast du uns aus Ägypten herausgeführt? Sollen wir in der Wüste sterben? Nicht einmal Brot und Wasser gibt es hier. Wir ekeln uns vor dem schlechten Essen!“ Sie verlieren ihr Vertrauen, sie verlieren die Geduld und ihren Lebensmut. Sie wenden sich gegen Mose und gegen Gott. Ein Aufstand. Sie stellen Gott ganz grundsätzlich in Frage, obwohl er während der Flucht aus Ägypten viele Wunder getan hatte. Das Manna, das er gegen den Hunger geschickt hatte, finden sie nun ekelerregend.
Gott lässt giftige Schlangen los. Dazu muss man wissen, dass die Negev-Wüste, in der sie gerade sind, bis heute als schlangenreiches Gebiet gilt. Das Volk erlebte also auf seiner Wanderung eine Schlangenplage. Und die Menschen haben das als Bestrafung Gottes gedeutet.
Das hat zur Folge, dass sie sich ihrer Schuld bewusst wurden: „»Wir haben Unrecht getan, als wir so mit dem HERRN und mit dir geredet haben. Bete zum HERRN, dass er die Schlangen von uns fortschafft!« Daraufhin betete Mose für das Volk.“
Und er bekommt den Auftrag: »Fertige eine Schlange aus Bronze an und stecke sie auf ein Feldzeichen. Jeder, der gebissen wurde, soll sie ansehen. Dann wird er am Leben bleiben.« Wer an Gott glaubt, wird nicht verloren werden, sondern das Leben haben. Das ist die Botschaft, die wir dann im Johannesevangelium wiederfinden. Dort wird sie auf Christus bezogen.
Wo stehen WIR in dieser Geschichte, liebe Gemeinde? Wo ist unsere Wüste, unsere Wanderung, unser Signal der Heilung, zu dem wir aufschauen können?
Auch wir wandern. Der Kirchenvater Augustin hat die Vorstellung des wandernden Gottesvolkes auf die Kirche übertragen. Und dabei sind wir immer wieder mal in der Wüste unterwegs. Wir geraten in Krisen, in denen wir Gefahr laufen, unsere Geduld und unseren Lebensmut zu verlieren. Manche Hoffnungen lösen sich in Luft auf. Krankheiten kommen uns vor wie endlose Wüstenwanderungen. Partnerschaften können belastet sein. Es gibt Zeiten, in denen Manna vom Himmel fällt und wir klar die Wolken- und Feuersäule sehen. Es kann Zeiten geben, in denen wir das Gefühl haben, dass Gott giftige Schlangen auf uns oder auf die Welt loslässt.
Was wir haben, woran wir uns festhalten können, sind Zusagen Gottes, die uns Hoffnung geben. In unserem Text hörten die Schlangen nicht einfach auf zu beißen, so einfach ist es nicht. Aber es gab ein Hoffnungszeichen, zu dem die verwundeten Menschen aufsehen konnten. Es heißt: „Und tatsächlich: Wer gebissen worden war und die Bronzeschlange ansah, blieb am Leben.“
Jesus Christus, der Sohn Gottes, blieb auch nicht verschont. Wir lernen ihn als tödlich Verwundeten kennen. Gleichzeitig erfahren wir, dass er den Tod überwindet: „Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, auf dass alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben.“ Und gleich im nächsten Vers im Johannesevangelium erfahren wir, warum Jesus gelitten hat und was das für uns bedeutet: „Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“
Der Gekreuzigte wird zum Zeichen des Heils. Wer Christus ansieht, wer zu ihm aufblickt, wird leben.
Ich wünsche uns, dass wir auf unserer Lebenswanderung nicht die Geduld verlieren, dass wir in der Linie der Hoffnung bleiben, die sich von der Wüstenwanderung des Volkes Israel bis zu Christus am Kreuz zieht und uns hier und heute ins Herz greifen will. Amen.
Dr. Johannes Neukirch, Predigt im Gottesdienst am 25.2.24 in Ahlem
Dr. Johannes Neukirch, Predigt im Gottesdienst am 25.2.24 in Ahlem